Autismusfreundliches Kino

Reportage

Filmvorführungen in Kinos können autismusfreundlich gestaltet werden. Eine HfH-Studie zeigt, wie das geht – und dass es funktioniert.

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Im Gespräch mit dem Leiter des Projekts «Filmrezeption bei Personen mit Autismus sowie Sinnesbehinderungen: Totales Eintauchen durch Apps und autismusfreundliche Kinos (FASEA)» Dr. Achim Hättich erfahren wir, wie autismusfreundliches Kino geht.

Warum braucht es autismusfreundliche Kinos?

Menschen mit Autismus sind sozial ängstlich, haben aber trotzdem das Bedürfnis nach Kontakt zu anderen. Dieses Bedürfnis können sie jedoch nicht ausleben, weil ihnen die Sicherheit im sozialen Umgang fehlt. Das gemeinsame Schauen eines Films gibt ihnen die Möglichkeit, unter Menschen zu sein und sich trotzdem nicht bedroht zu fühlen – sofern das Kino autismusfreundlich gestaltet ist.

Wie sieht ein autismusfreundliches Kino aus?

Streng genommen muss man von einem autismusfreundlichen Kinobesuch sprechen, weil sich die Betroffenen bereits zuhause im Detail darüber informieren möchten, was auf sie zukommt: Mit welchem Tram sie zum Kino fahren müssen, wie das Kinogebäude ausschaut, wo genau sich der Eingang befindet, der Filmsaal, die Toiletten – einfach alles, was später dann wichtig werden könnte.

Gehört auch der Filminhalt selber dazu?

Unbedingt. In der Studie haben wir «Highway to Hellas» gezeigt, eine deutsche Komödie. Dort gibt es zum Beispiel zwei laute Explosionen, auf die wir in diesen Informationen extra aufmerksam gemacht haben, obwohl die Lautstärke des Films deutlich gesenkt wurde.

Damit sind wir bei den Besonderheiten während der Vorführung. Warum wurde der Ton heruntergefahren?

Weil Menschen mit Autismus Sinnesreize wesentlich stärker wahrnehmen als ihre Mitmenschen. Geräusche, die für uns normal sind, erscheinen ihnen unangenehm laut, Düfte intensiv, Farben grell.

Im Kinosaal ist es zum Glück dunkel.

Normalerweise schon, aber wir haben den Saal dezent beleuchtet, weil das Sicherheit gibt. Dunkelheit macht Angst.

Was ist mit Popcorn? Das hat ja einen recht eindringlichen Duft.

Da sind die Geschmäcker unterschiedlich. Entscheidend ist vielmehr, dass die Betroffenen ihr eigenes Essen und Trinken mitnehmen dürfen. Auch hier ist die Grundidee: Möglichst alles vorhersagbar und angenehm machen, damit das Gefühl der Sicherheit erhöht wird.

Nun waren ja diese Merkmale des autismusfreundlichen Kinos bereits vorher bekannt. Was hat die Studie neu aufgezeigt?

Dass es funktioniert! Nach der Kinovorstellung haben die Teilnehmenden jeweils einen Fragebogen ausgefüllt: Wie hat es Ihnen gefallen? Wie sicher haben Sie sich gefühlt? Würden Sie sich weitere solche Kinobesuche wünschen? Die insgesamt 17 Teilnehmenden haben diese Fragen durchwegs positiv beantwortet.

Wie geht es nun weiter?

Ziel ist es, künftig einmal pro Monat eine autismusfreundliche Kinovorstellung durchzuführen. Und zwar eine, die für alle Menschen zugänglich ist. Dieser Aspekt ist wichtig: Die Betroffenen sehnen sich ja nach einer stärkeren gesellschaftlichen Teilhabe, bekunden aber Mühe, diese selbständig zu erreichen. Das Kino kann ein Ort sein, an dem diese verschiedenen Welten ganz konkret miteinander in Berührung kommen.

Informationen zum Video. Zu Beginn wird der Text «Autismusfreundliches Kino, Interview mit Dr. Achim Hättich, HfH, Science in 60 seconds» eingeblendet. Das Interview wird geführt von Dr. Dominik Gyseler, Wissenschaftskommunikation HfH. Der Gesprächsgast ist Dr. phil. Achim Hättich, Wissenschaftlicher Mitarbeiter HfH.

Video-Interview mit Dr. Achim Hättich

Video-Abspann in Textform

Interview mit Dr. Achim Hättich, Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik (HfH), über das HfH Forschungsprojekt «FASEA» (13.03.2019)

  • Interview: Dominik Gyseler
  • Konzeption: Steff Aellig & Dominik Gyseler
  • Kamera & Ton: Steff Aellig
  • Produktion: Steff Aellig, HfH Wissenschaftskommunikation (WiKo)