Interview mit Christina Arn zum Tag der Logopädie am 6. März

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Am 6. März war der Europäische Tag der Logopädie. Was ist Logopädie genau und was machen Logopädinnen und Logopäden?

Logopädinnen und Logopäden kümmern sich um den ganzen Bereich, der mit Kommunikation, Sprache und insbesondere Sprachauffälligkeiten zu tun hat. Von ganz kleinen Kindern hin zu Menschen im hohen Alter treten unterschiedliche Störungsbilder und Erkrankungen auf. Im Erwachsenenalter sind das beispielsweise Parkinson oder Demenz und im Kindesalter Schwierigkeiten im Spracherwerb und nicht zuletzt auch Lese- und Rechtschreibeauffälligkeiten oder Störungen der Rede wie z.B. Stottern.

Geht es um Störungen in der Kommunikation oder in der Sprache?

Eine Störung der Sprache zieht oft eine Störung der Kommunikation nach sich. Es kann aber auch eine Störung in der Kommunikation auftreten, obwohl die sprachlichen Fähigkeiten gut entwickelt sind. Dies z.B., wenn jemand aufgrund von motorischen Beeinträchtigungen sehr undeutlich spricht. Oder jemand, dessen Sprache zwar intakt ist, der jedoch an einer Stimmerkrankung leidet. In diesem Falle kann die Kommunikation sehr stark beeinträchtigt sein, ohne dass die Sprache im eigentlichen Sinne betroffen wäre.

Und auch dort helfen Logopädinnen und Logopäden?

Ja, die Stimme ist ebenfalls ein Thema in der Logopädie. Genauso wie Schlucken beziehungsweise Schluckstörungen im Kindes- und Erwachsenenalter.

Wie helfen Logopädinnen und Logopäden?

Die vier grossen Arbeitsbereiche sind Prävention, Förderung, Therapie und Beratung. Die Prävention versucht sicherzustellen, dass Probleme oder Störungen gar nicht erst auftreten. So kann man z.B. Lehrpersonen zeigen, wie sie ihre Stimme schonen können, damit gar nicht erst eine Überlastung der Stimme entsteht. Im Bereich Förderung arbeitet man oft in Gruppen. Um die Sprache zu fördern, führen wir z.B. in Kindergärten gezielt Spiele zu Sprache und Bewegung ein. Neben der Prävention und der Förderung ist ein wichtiger Bereich natürlich auch die Therapie, welche in der Logopädie hauptsächlich noch in Einzelsettings durchgeführt wird und immer individuell auf das Kind oder den Patienten zugeschnitten ist. Manchmal gibt es auch Zweiersettings, seltener auch Kleingruppen. Den vierten Arbeitsbereich der Logopädinnen und Logopäden stellt die Beratung dar, wo es um die fachliche Beratung von Angehörigen, Lehrpersonen oder auch ganzen Schuleinheiten geht.

Welche Menschen brauchen logopädische Betreuung?

Alle Menschen, die in den genannten Gebieten ein Problem haben und zwar über alle Altersgruppen hinweg. Diese Probleme können unterschiedlich gravierend sein. Jemand, der beruflich oft vor grossem Publikum reden muss, empfindet sein interdentales S wahrscheinlich als problematischer als jemand, der nie vor Menschenmengen spricht. Das Störungsbewusstsein der Betroffenen spielt eine wichtige Rolle.

Wie sind Betroffene im Alltag eingeschränkt?

Um anderen seine Bedürfnisse klar zu vermitteln, muss sich ein Mensch ausdrücken können. Wenn der Wortschatz dazu fehlt, kann die betroffene Person nicht sagen, was sie denkt oder fühlt. Dies kann oft sehr schnell zu Missverständnissen führen. Sobald die Sprache beeinträchtigt ist, werden sehr viele Situationen im Alltag zu einem Problem und Kleinigkeiten werden schon zu grossen Herausforderungen. Dies passiert überall dort, wo es um Sprache oder einen Austausch mit anderen Personen geht. Zudem betrifft es nicht nur die gesprochene, sondern meist auch die geschriebene Sprache. So gewinnen wir heutzutage viele Informationen aus dem Internet. Um das Internet und die darin enthaltenen Informationen jedoch zu nutzen, muss man verstehend lesen können.

Sie haben selbst als Logopädin gearbeitet. Was sind die Herausforderungen in diesem Beruf?

Der Beruf ist sehr vielseitig. Gerade wenn man denkt, man wisse jetzt wie es geht, stösst man auf einen Patienten, der zwar die gleiche Diagnose hat, jedoch eine ganz andere Behandlung benötigt. Genau deshalb ist Logopädie aber auch so spannend. Als Logopädin oder Logopäde arbeitet man mit vielen Kollegen aus anderen Fachgebieten zusammen. Diese Zusammenarbeit ist fachlich sowie organisatorisch gar nicht so einfach, denn jeder verfolgt neben einem gemeinsamen Ziel jeweils auch die eigenen, spezifischen fachlichen Ziele. Bei seinem Kerngebiet zu bleiben, sich aber trotzdem auch mit den anderen Fachbereichen gut zu vernetzen, sehe ich als Herausforderung. Zudem ist die Logopädie ein Gebiet, dass sich sehr schnell weiterentwickelt. Einerseits ist es wichtig, dass man Forschungsresultate aus den Bezugswissenschaften aufnimmt. Gerade im Bereich Spracherwerb tut sich momentan viel und was bis vor kurzem als grundlegend angesehen wurde, ist heute schon nicht mehr so. Es ist wichtig, am Ball zu bleiben. Andererseits betreibt die Logopädie auch eigene Forschung, entwickelt sich somit weiter und beweist ihre Qualität. Auch das ist eine Herausforderung.

Wie unterscheidet sich die Logopädie zwischen Menschen mit und ohne geistige Behinderung?

Wenn ich Werbung für Logopädie mit Menschen mit einer geistigen Behinderung mache, sage ich immer «Das ist einfach total Logopädie». Das bedeutet, dass wirklich alles, was man im Lehrbuch Logopädie findet, vorkommen kann. Ich hatte beispielsweise schon Jugendliche mit Aphasie oder Kinder mit demenzähnlichen Syndromen. Einerseits ist Logopädie auch bei Menschen mit Behinderung standardisiert und vergleichend: Man verwendet die gleichen Methoden oder Diagnostik wie auch sonst. Andererseits sind die individuellen Bedürfnisse der Patienten mit Behinderung grösser und die Therapien dementsprechend angepasster. Wenn ein Testverfahren in der Regel eine Stunde dauert, man aber merkt, dass beim Kind mit Behinderung die Aufmerksamkeitsspanne viel kürzer ist, dann muss man das Verfahren auf diese Situation anpassen. Zusätzlich spielen Themen wie der medizinische Zustand, die Wahrnehmung oder körperliche Behinderungen eine Rolle. Die Fragen sind demnach vielfältiger und die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Physio- und Ergotherapie sowie Psychomotorik grösser. Die Arbeit mit Menschen mit Behinderung fordert von Logopädinnen und Logopäden besondere Flexibilität.

Dieses Jahr steht der Tag der Logopädie europaweit unter dem Thema «Unterstützte Kommunikation». Was bedeutet Unterstützte Kommunikation?

Unterstützte Kommunikation hilft Menschen verstanden zu werden. Für Personen mit Kommunikationsschwierigkeiten ermöglicht die Unterstützte Kommunikation eine bessere Teilnahme an alltäglichen Tätigkeiten. Es geht also darum, einen Weg zu finden, die Kommunikation zu unterstützen. An dieser Stelle möchte ich hervorheben, dass es dabei wirklich immer um ein Unterstützen und nicht um ein Ersetzen geht. Natürlich gibt es Menschen, die z.B. dauerhaft auf einen Computer mit Sprachausgabe angewiesen sein werden. Es gibt aber auch viele, die durch das Nutzen von einem Mittel der Unterstützten Kommunikation – sei das z.B. Gebärden oder Computer – ihre verbale Sprache verbessern.

Welche Formen der Unterstützten Kommunikation gibt es?

Bei jedem Nutzer muss zuerst abgeklärt werden, welche individuellen Möglichkeiten vorhanden sind. Es gibt körpereigene Möglichkeiten, bei welchen man die Kommunikation durch Gesten unterstützt. Es gibt Gebärdensprachen, die speziell für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen entwickelt wurden. Eine weitere Form der Unterstützten Kommunikation sind visuelle Systeme, wie beispielsweise Piktogramme, die in Form von möglichst einfachen, klaren grafischen Darstellungen unterstützen. Wenn Sie ein Piktogramm für das Schliessfach am Bahnhof sehen, ist das im Grunde auch schon Unterstützte Kommunikation. Bei der Unterstützten Kommunikation in der Logopädie werden oft Boardmaker-Symbole eingesetzt. Weiter gibt es zahlreiche elektronische Kommunikationsmittel, welche vom einfachen Kommunizieren von «Ja/Nein» bis hin zur komplexen Äusserung via Computersprachausgabe reichen. Auch das iPad wird zur Unterstützten Kommunikation eingesetzt.

Was leisten Logopädinnen und Logopäden in Zusammenhang mit der Unterstützten Kommunikation?

Generell ist natürlich Sprach- und Kommunikationsförderung eine Kernaufgabe der Logopädie und beispielsweise die differenzierte Kenntnis der Sprachentwicklung eine wichtige Voraussetzung, wenn überlegt wird, ob und welche Arten von Unterstützter Kommunikation überhaupt möglich sind. Das heisst, die Logopädie kann und soll ihre diagnostischen Möglichkeiten und ihre diagnostische Erfahrung einbringen. Logopädinnen und Logopäden haben auch Erfahrung im Umgang mit möglichen Anpassungen aufgrund der besonderen Situation. Beispielsweise legt die Logopädie bei Abklärungen der Unterstützten Kommunikation unter Umständen mehr Gewicht auf pragmatisch-kommunikative und semantische Fähigkeiten als bei verbal kommunizierenden Kindern. Und nicht zuletzt orientiert sie sich hier ganz besonders an der ICF: Barrieren überwinden, Partizipation ermöglichen. Anamnese, Diagnostik, Bestimmung des Sprachstandes gehören also in die Hände der Logopädie und beim Erstellen eines sogenannten Fähigkeitsprofils zu Wahl geeigneter Massnahmen der Unterstützten Kommunikation gehört die Logopädie meiner Meinung nach zwingend dazu. Wichtig ist eine enge Zusammenarbeit mit den Angehörigen, dem Umfeld und den weiteren Fachpersonen. Wenn Unterstützte Kommunikation nur in der Therapie angewandt wird, ist das eindeutig zu wenig.

Plant die HfH eine Aktion zum Tag der Logopädie? Wenn ja, was?

Wir besuchen am 12. März die Studierenden der Schulischen Heilpädagogik an der HfH und halten ein Inputreferat über die Kompetenzen der Logopädinnen und Logopäden im Bereich der Unterstützten Kommunikation. Über Mittag erhalten die Studierenden zusätzlich an einigen Ständen Informationen und Hinweise zum Thema. Natürlich versuchen wir das Ganze im wahrsten Sinne des Wortes etwas zu versüssen.

Das Interview führte Ana Grujic.