Erfolgreich studieren mit Autismus, indem man Brücken baut
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Was ist Autismus? Welche Rahmenbedingungen können im Studium hilfreich sein? Der Diversity Talk zum Thema «Studieren mit Autismus» bot einen kompakten Überblick zum Autismusverständnis, den Kontextbedingungen sowie konkrete Handlungsanregungen.

Die Veranstaltungsreihe «Diversity Talk» der HfH bietet ein niederschwelliges Angebot zur Sensibilisierung von Student:innen und Mitarbeiter:innen sowie Interessierten aus dem Hochschulkontext. Expert:innen nehmen aktuelle Themen auf, teilen ihre Erfahrungen und diskutieren diese mit dem Publikum. Eva Stucki, Heilpädagogin, Psychologiestudentin an der Universität Bern und Mitglied des Partizipativen Forschungsnetzwerks Autismus Schweiz (PFAU), und Prof. Dr. Andreas Eckert, Professor für Kommunikation und Partizipation bei Autismus am Institut für Sprache und Kommunikation, gestalteten den Diversity Talk gemeinsam – mit dem Fokus auf den Hochschulalltag von Student:innen im Autismus-Spektrum.
Was ist Autismus?
Zu Beginn des Referats wurde das zugrunde liegende Autismusverständnis erläutert. Autismus ist eine Variante menschlicher Wahrnehmung und Denkprozesse. Die individuelle Ausprägung von neuronalen Strukturen resultiert in einem Spektrum. Autismus kann also nur im individuellen Einzelfall verstanden werden. Folgende Bereiche können bei einer Diagnose eine Rolle spielen: Sensorische Sensitivitäten, soziale Wahrnehmung, soziale Kommunikation, Detailfokussierung, Spezialinteressen, Routinen und Wiederholungen, Erwartungen und Vorhersehbarkeit sowie Handlungsplanung. Ausschlaggebend ist die Frage, welche Relevanz die einzelnen Bereiche auf das Leben und Erleben haben. Es gibt Gemeinsamkeiten, aber die Übergänge sind fliessend. Dabei ist besonders die wertfreie Betrachtung wichtig, man distanziert sich zunehmend vom «Störungsbild». Auch der Begriff «Neurodiversität» wird zunehmend in diesem Kontext verwendet. Verwendet werden Begriffe «neurotypisch» für gesellschaftliche Mehrheiten und «neurodivergent» für verschiedene gesellschaftliche Minderheiten. «Neurodivers» trifft auf alle Menschen zu.
Herausforderungen im Studium: Reflexionskategorien
Eva Stucki und Andreas Eckert schlagen vier Kategorien vor, in denen eine Reflexion stattfinden kann:
- Bei der dozierenden Person stehen insbesondere organisatorische Aspekte im Vordergrund. In welcher Form werden die Unterlagen zur Verfügung gestellt? Wie werden Gruppen gebildet? Wie werden Aufträge definiert und formuliert? Werden die Rahmenbedingungen klar kommuniziert?
- Sowohl bei (Mit-)Studierenden als auch Dozierenden ist das Autismusverständnis bedeutsam. Wie ist das eigene Erleben von Autismus? Kennt man beispielsweise auch Frauen im Autismus-Spektrum? Ist bei Dozierenden Fachwissen über Autismus vorhanden?
- Schliesslich spielt die Haltung der Universität gegenüber (Neuro-)Diversität eine grosse Rolle. Wird Autismus als ein Mehrwert gesehen? Wie akzeptiert sind individuelle Lernformen? Werden gesellschaftliche Konventionen und Normen thematisiert?
- Wichtig sind zudem strukturelle Bedingungen an den Hochschulen. Wie ist der Nachteilsausgleich geregelt? Gibt es Rückzugsorte? Wurden klare Ansprechpartner:innen benannt? Gibt es evtl. Unterstützungsangebote durch Peers?
Es wurde aufgezeigt, welche Hürden im Studium überwunden werden müssen und was die Student:innen selbst, aber auch Dozent:innen und Hochschule beitragen können. Dabei geht es nicht nur um Unterstützung, sondern um eine gemeinsame Gestaltung des Studienalltags. Ziel ist es, die Bedürfnisse aller Beteiligter zu verstehen und Chancengleichheit durch konkrete Massnahmen und mehr Sensibilisierung zu fördern.
Handlungsanregungen
Für konkrete Situationen im Studienalltag wurden einige Handlungsempfehlungen für Studierende und Dozierende formuliert:
- Sie wollen die eigene Diagnose und individuelle Bedürfnisse kommunizieren? Im Vorfeld können Sie sich mit folgenden Fragen auf das Gespräch vorbereiten: Wie erkläre ich Autismus generell und auf mich bezogen? Welche Herausforderungen können mich im Studienalltag erwarten? Welche Anpassungs- und Unterstützungsangebote können hilfreich sein? Informieren Sie frühzeitig und proaktiv andere (Dozierende/Studierende) über Ihre Bedürfnisse und machen Sie Vorschläge, was für Sie in der jeweiligen Situation hilfreich wäre.
- Sie sind Dozent:in und werden über individuelle Bedürfnisse informiert? Nehmen Sie den geäusserten Anpassungs- und Unterstützungsbedarf ernst und versuchen Sie gemeinsam, praktikable Wege zu finden. Fragen Sie nach, wenn Unklarheiten bestehen, oder Ihnen wichtige Informationen fehlen, um die Person verstehen oder unterstützen zu können. Prüfen Sie Ihre eigene Haltung (in Bezug auf Autismus/Neurodiversität) und Ihre Erwartungen (an die Studierenden).
Literaturhinweis. Stucki, E. & Eckert, A. (2025). Brücken bauen – Perspektivenübernahme zwischen Studierenden im Autismus-Spektrum und Dozierenden wechselseitig gestalten. In Lindmeier, C., Schipp, C. & Richter, M. (Hrsg.) Menschen im Autismus-Spektrum in Studium und Hochschule. Stuttgart: Kohlhammer (im Druck).
Interesse an Thema war gross
Nach dem Referat konnten die Teilnehmenden Fragen stellen. Viele Fragen standen in Bezug zum Nachteilsausgleich, zum möglichen Vorgehen, der Unterstützung durch nahestehende Personen und dem niederschwelligen Zugang zu Ansprechpersonen. Im Anschluss an die angeregte Fragerunde fand ein Apéro statt, der Gelegenheit für weiteren Austausch bot.
Der Diversity Talk vom 13. Mai 2025 war eine Kooperation von Chantal Deuss, Beauftragte für Diversity und Gleichstellung, und Prof. Dr. Andreas Eckert, Professor für Kommunikation und Partizipation bei Autismus, im Rahmen des von swissuniversities finanzierten Projekts im Programm Chancengerechtigkeit – Förderung der Gleichstellung, Diversität und Inklusion auf allen Ebenen der Hochschulen. Das Interesse an der Veranstaltung war gross. Rund 120 Personen nahmen vor Ort und online teil.
Vernissage
Die Vernissage der Ausstellung «Mein Leben als Autistin» von Sara Peeters fand im Anschluss an den Diversity Talk statt. Die Illustrationen werden noch bis zum 6. Juni 2025 im 2. Stock an der HfH zu sehen sein. Die Zeichnungen sind entstanden als Sammlung alltäglicher Erfahrungen als Person im Autismus-Spektrum, aus persönlichen Erinnerungen sowie dem Austausch mit anderen Betroffenen. Geboren und aufgewachsen ist Sara Peeters in Belgien, aktuell lebt sie in der Schweiz. Nach ihrer Autismus-Diagnose hat Sara Peeters den Beruf gewechselt und arbeitet nun als Software-Entwicklerin.
Links
- Partizipatives Forschungsnetzwerk Autismus (PFAU)