«Wir können Lehrplan!»

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Letzte Woche wurde der erste Fachlehrplan für Deutschschweizerische Gebärdensprache präsentiert. Es ist ein Meilenstein auf dem Weg zur vollständigen Teilhabe der Betroffenen in der Gesellschaft.

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Daniela Nussbaumer Titel Prof. Dr.

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Professorin für MINT-Lernen und -Lernentwicklung unter erschwerten Bedingungen

Im Lehrplan Mathematik steht: «Die Schülerinnen und Schüler können im Zahlenraum bis 10 von jeder möglichen Zahl aus vor- und rückwärts zählen.» Im Lehrplan Deutsch steht: «Die Schülerinnen und Schüler können in einer vertrauten Gesprächssituation dem Gesprochenen folgen und ihre Beteiligung zeigen.» Im Lehrplan Gebärdensprache steht: «Die Schülerinnen und Schüler können einfache Fragen (Wer? Wie? Wann? Wo?) zu vertrauten Themen stellen und beantworten.» Und dieser Lehrplan soll, wie die anderen beiden, ganz offiziell Teil des Lehrplans 21 sein.

Denn noch ist es nicht so weit. Aber das ist die Vision. Am 17. September 2021 wurde an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik (HfH) ein Meilenstein auf diesem Weg vorgestellt: Der erste Fachlehrplan für Deutschschweizerische Gebärdensprache (DSGS). «Dieser Fachlehrplan bietet die Chance, den Lehrplan 21 so zu ergänzen, dass er auch für hörbeeinträchtigte und gehörlose Kinder verwendet werden kann», sagte Regierungsrätin Silvia Steiner, die das Publikum in Gebärdensprache begrüsste.

Es ist ein Schritt in einer schwierigen Geschichte der Gebärdensprache zwischen Ausgrenzung und Anerkennung. Sie kann in einer groben Erzählung auf drei Jahreszahlen heruntergebrochen werden: 1880 wird die Gebärdensprache am Mailänder Kongress aus dem Unterricht in den Gehörlosenschulen verbannt. Es folgen Jahrzehnte des Kampfes um schulische und soziale Integration. 2014 verpflichtet sich die Schweiz mit der Unterzeichnung der UNO-Behindertenrechtskonvention, das Erlernen der Gebärdensprache und die Förderung der sprachlichen Identität hörbeeinträchtigter Menschen durch geeignete Massnahmen zu unterstützen. Und nun, 2021, ist der vorliegende Fachlehrplan ein wichtiger Baustein dieser Umsetzung.

Das Werk besticht durch seine Nähe zur Praxis. Das ist in der Schweiz im Gegensatz zu anderen Ländern von grosser Bedeutung. «Es ist wichtig, den eigenen Weg zu gehen», betonte Claudia Westhues, die Co-Leiterin des Projekts. Die Entwicklung dauerte sieben Jahre. «In Anlehnung an die Politik bin ich versucht zu sagen: Wir können Lehrplan», sagte Peter Bachmann, ebenfalls Co-Leiter.

Ein Blick in den Fachlehrplan zeigt, dass er verschiedene Kompetenzbereiche wie Rezeption, Produktion, aber auch Gehörlosen- und Gebärdensprachkultur beinhaltet. Die Hauptarbeit bestand nun darin, die einzelnen Kompetenzen festzulegen. Das Ergebnis zeigte der Gebärdensprachlehrer Emanuel Nay exemplarisch am Kompetenzbereich «Gehörlosen- und Gebärdensprachkultur im Fokus». So sollen etwa die 15- bis 16-Jährigen am Ende von Zyklus 3 ihre Stärken als gehörlose bzw. schwerhörigen Personen und die positiven Aspekte ihrer Beeinträchtigung beschreiben und sich einer Gruppe damit vorstellen können.

«Sprache ist ein Tor zur Welt», sagte Regierungsrätin Silvia Steiner in ihrer Eröffnungsrede. Ein wesentlicher Teil dieser Welt ist die Bildung. Barbara Fäh, die Rektorin der HfH, würdigte denn auch den Stellenwert des Werks aus heilpädagogischer Sicht: «Mit der Einführung dieses Fachlehrplans machen wir einen wichtigen Schritt hin zu einer inklusiven Gesellschaft.»

Die ausserordentliche Tagung «Präsentation des ersten Fachlehrplans DSGS» fand am 17. September 2021 an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik (HfH) statt.

Autoren: Dr. Dominik Gyseler und Dr. Steff Aellig, Wissenschaftskommunikation HfH