De-Sign Bilingual, Entwicklung und Dokumentation gebärdensprachlich-bilingualer Good-Practice in Schulen

Kategorie Projekt

Ausgangslage und Ziele

Bisher war in Europa kaum gebündeltes Wissen darüber vorhanden, wo und wie die nationale Gebärdensprache und Laut-/Schriftsprache für bimodal-bilingualen Unterricht eingesetzt wird. Es bestand dringender Bedarf, den Ist-Zustand in Europa zu dokumentieren, sowie gute bimodal-bilinguale Praxisbeispiele darzustellen und Unterrichtsmaterialien zu entwickeln.

Projektleitung

Mireille Audeoud Titel Dr. phil.

Funktion

Senior Researcher

Verena Krausneker Titel Prof. Dr.

Funktion

Universität Wien

Claudia Becker Titel Prof. Dr.

Funktion

Humboldt Universität zu Berlin

Darina Tarcsiova

Funktion

Universität Komenskeho v Bratislave

Fakten

  • Dauer
    11.2014
    04.2017
  • Neue Projektnummer
    4_30

Projektteam

  • Tamara Bangerter
  • Jeanne Auf der Mauer

Finanzielle Unterstützung

Fragestellung

Wie ist der Stand des bimodal-bilingualen Unterrichts in verschiedenen Ländern Europas? Welche Kriterien zur Implementierung von Good-Practice-Standorten gibt es?

Methodisches Vorgehen

Über Erasmus+ wurde eine strategische Partnerschaft zwischen fünf spezialisierten Schulen und vier Hochschulen aus der Schweiz, der Slowakei, Deutschland und Österreich gegründet. 2015 wurden internetbasierte Umfragen bei Experten und Expertinnen 39 europäischer Länder durchgeführt und eine vertiefende Interviewstudie, in der acht Good-Practice-Schulen in Europa detailliert beschrieben wurden. Weiter wurde eine Dokumentenanalyse der gesetzlichen Grundlagen in den 39 Länder erarbeitet. Alle Erhebungen wurden in verschiedenen Sprachen (auch Gebärdensprachen) durchgeführt.

Ergebnisse

  • Es entstand eine interaktive Landkarte für 39 Länder Europas, die den Stand der bimodal-bilingualen Bildung darstellt. Dort wurden zudem für jedes Land hemmende und fördernde Faktoren für die Etablierung bimodal-bilingualer Bildung sowie die gesetzlichen Grundlagen beschrieben.
  • Es wurden bilingual-bimodale Unterrichtsmaterialien und Werkzeuge für die Umsetzung im Schulunterricht von gehörlosen und hörenden Lehrpersonen erarbeitet und veröffentlicht.
  • Ebenso wurde eine Anleitung zur Implementierung bimodal-bilingualer Bildung (Bi-bi Toolbox) an Schulen in verschiedenen Schrift- und Gebärdensprachen publiziert.
  • Auf der Hauptseite sind zudem politische Forderungen publiziert.

Kernaussagen

  1. Bimodal-bilinguale Bildung lebt! In allen 39 untersuchten Ländern spielt die nationale Gebärdensprache in irgendeiner Weise eine Rolle im schulischen Bildungsbereich. In knapp 80% der untersuchten Länder haben Kinder mit einer Hörbehinderung die Möglichkeit, Gebärdensprache an Bildungseinrichtungen zu lernen, aber der Zugang dazu ist oft auf Sonderschulen und einzelne Regionen beschränkt.
  2. Gesetzliche Absicherungen sind Grundlage und notwendige Rahmenbedingung für die nachhaltige Etablierung von bimodal-bilingualem Schulunterricht. In knapp 60 % der untersuchten Länder sind noch keine landesweiten rechtlichen Grundlagen für den bimodal-bilingualen Schulunterricht etabliert.
  3. Qualifiziertes pädagogisches Personal, insbesondere hörbehinderte Lehrpersonen sind der Schlüssel zu guter Umsetzung von bimodal-bilingualem Unterricht. Aber nur 25 % der untersuchten Länder haben entsprechende umfangreiche Aus- bzw. Weiterbildungsprogramme.
  4. Beide Sprachen (nationale Gebärdensprache und Lautsprache/Schriftsprache) müssen in der Stundentafel verankert sein, also als Schulfach gelehrt werden. Beide Sprachen müssen - abwechselnd/je nach Thema/Person/Ort/Situation - im Unterricht präsent sein. In rund 60 % der untersuchten Länder gibt es an einzelnen Schulen das Fach «nationale Gebärdensprache». Lehrpläne für das Schulfach sind jedoch nur in rund 40 % der Länder vorhanden.
  5. Die Schülerinnen und Schüler mit Hörbehinderungen sind sprachlich sehr heterogen. Sprachliche Bildung in beiden – gleichwertigen und gleich wichtigen – Sprachen muss individualisiert werden. Dafür braucht es ausreichend fachliches Wissen und personelle Ressourcen.
  6. Inklusion und bimodal-bilingualer Unterricht werden derzeit als Widerspruch gesehen. Aber bilingualer Unterricht mit einer Laut- und einer Gebärdensprache kann und soll auch in inklusiven Schulsettings stattfinden. Es gibt in Europa bereits mehrere erfolgreiche Modelle, die auf unterschiedliche Art und Weise bilinguale Bildung in inklusiven Settings umsetzen. Diese Beispiele belegen, dass starke Bildungszentren eine wichtige strukturelle Voraussetzung sind. Sie vereinen Frühförderung, Schulbildung und Beratung unter einem Dach und kooperieren intensiv mit Schulen und Bildungseinrichtungen, in denen hörbehinderte und hörende Schüler und Schülerinnen gemeinsam lernen.
  7. Eltern, Pädagoginnen und Pädagogen sind die aktiven Gründer von bimodal-bilingualen Standorten. Bilinguale Bildung wird meist nicht von der Politik initiiert (weder früher in den Sonderschulen, noch heute für die Inklusion). Die Bildungspolitik sollte hier mit einer eindeutig positiven Position wegweisend sein für die Etablierung bimodal-bilingualer Bildung.
  8. Negative Einstellungen, konkret die medizinisch-defizitäre Sichtweise auf Hörbehinderungen, wird europaweit von nationalen Experten und Expertinnen als bedeutender hemmender Faktor benannt.
  9. Unterrichtsmaterialien für bimodal-bilinguale Bildung sind in ca. der Hälfte der untersuchten Länder bereits vorhanden, diese müssen aber weiter ausgebaut und verbreitet werden.
  10. Diagnostische Instrumente für die gebärdensprachliche bzw. bilinguale Entwicklung gibt es in keinem der Länder in ausreichendem Masse.  

Europa hat sich auf den Weg gemacht, bimodal-bilinguale Bildung in Schulen zu etablieren. Die Bedürfnisse und Herausforderungen sind europaweit ähnlich. Die Implementierung und Weiterentwicklung von bimodal-bilingualen Bildungsangeboten gelingt besonders dann gut, wenn internationale und nationale Netzwerke bestehen und genutzt werden.

Publikationen

  • Audeoud, M., Becker, C., Krausneker, V., & Tarcsiovà, D.
    (2017).
    Bimodal-bilinguale Bildung für Kinder mit Hörbehinderung in Europa. Teil III: Sprachbildung für hörbehinderte SchülerInnen in den deutschsprachigen Ländern.
    Das Zeichen,
    107,
    416–429.
  • Becker, C., Krausneker, V., Audeoud, M., & Tarcsiovà, D.
    (2017).
    Bimodal-bilinguale Bildung für Kinder mit Hörbehinderung in Europa. Teil I: Erhebung des Ist-Stands.
    Das Zeichen,
    105,
    60–72.
  • Krausneker, V., Becker, C., Audeoud, M., & Tarcsiovà, D.
    (2017).
    Bimodal-bilinguale Bildung für Kinder mit Hörbehinderung in Europa. Teil II: Good–Practice-Beispiele.
    Das Zeichen,
    106,
    262–277.
  • Audeoud, M.
    (2016).
    Politische Forderungen für eine bilinguale Praxis.
    Visuell plus,
    16
    (30),
    Artikel 28.