Wer hat's erfunden?

Reportage

Peter Lienhard war massgeblich an der Entwicklung des Schulischen Standortgesprächs (SSG) beteiligt. Nun verlässt das Schwergewicht der Heilpädagogik die berufliche Bühne – und gibt seine Tipps und Erfahrungen zum letzten Mal weiter: Ein «Best of SSG».

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Steff Aellig Titel Dr. phil.

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Senior Consultant

Alle auf Augenhöhe dabei. Es waren die Jahre nach 2005, als in vielen Kantonen kein sonderpädagogischer Stein auf dem andern blieb: Geleitete Schulen, Integrative Ausrichtung der Volksschule, Qualitätsstandards für die sonderpädagogischen Berufe – das sind die gewichtigen Schlagworte, die ihre Wiege alle in jener Zeit hatten. Und Peter Lienhard, emeritierter HfH-Professor, war damals mittendrin und prägte das bildungspolitische Geschehen mit – mit seiner Fachlichkeit, aber auch mit seiner gewinnenden und verbindenden Art. Die Herausforderung in jener Zeit: Auf einmal waren Fachpersonen verschiedener Disziplinen am Unterricht beteiligt. Lienhard dazu: «Es brauchte ein Verfahren, mit dem alle am Tisch ihre Sicht einbringen konnten: die beteiligten Fachpersonen, aber auch die Eltern und das Kind selber. Und zwar auf Augenhöhe.»

Geburt des SSG. Die Bildungsdirektion des Kantons Zürich erteilte den Auftrag zur Entwicklung eines solchen Verfahrens an Judith Hollenweger von der PHZH und Peter Lienhard von der HfH. Sie beide können rückblickend als «Eltern» des Schulischen Standortgesprächs – kurz: SSG – bezeichnet werden. Nach der erfolgreichen Einführung und Erprobung wurde das SSG im Kanton Zürich als verbindlich erklärt, wenn es um die Zuweisung und Überprüfung von sonderpädagogischen Massnahmen ging. Und in zahlreichen anderen Kantonen war das SSG ebenfalls «State of the Art» für einen mehrperspektivischen Blick auf die Entwicklung eines Kindes oder Jugendlichen.

Struktur ist ein Dreischritt. Was genau ist das «Rezept» dieses Verfahrens? Lienhard: «Es ist eigentlich ein Dreischritt: Zuerst macht man eine Auslegeordnung, wo alle Beteiligten ihre Sichtweise einbringen können. Danach vertieft man ausgewählte Bereiche mit dem Ziel, sie besser zu verstehen. Und zum Schluss schaut man: Wo wollen wir hin?» Das ist die Struktur, welche das Gespräch leiten soll. Und dahinter liegt eine fachliche Matrix: Die zehn Lebensbereiche aus der «ICF», einem international anerkannten Klassifikationssystem. «Das gibt den am Gespräch beteiligten Personen eine gemeinsame Sprache, eine Art Bezugssystem», erklärt Lienhard. Wie man das SSG mit einem Zeugnisgespräch verknüpfen kann, und bei welchen Situationen die Schulleitung aktiv eingreifen soll, erklärt Peter Lienhard im nachfolgenden Video-Interview.

Video-Interview mit Prof. Dr. Peter Lienhard und Dr. Steff Aellig (Dezember 2022).

Moderation entscheidend. Seit gut fünfzehn Jahren wird das SSG nun in Schulen eingesetzt. Hat sich das Verfahren bewährt? «Die Grundidee finde ich immer noch bestechend», sagt Lienhard, «aber in der Praxis sehe ich grosse Unterschiede in der Qualität der Durchführung.» Eine Schlüsselrolle kommt dabei der Moderation zu. «Pädagogische Situationen sind nie simpel. Und wenn die Moderation die Struktur einhalten kann, dann bringt man die Komplexität auf den Boden», ist Lienhard überzeugt.

Ständig weiterentwickelt. Schon bei der Entwicklung des SSG hat Peter Lienhard viele Schulen miteinbezogen – und so das Verfahren ständig weiterentwickelt, den Bedürfnissen der Praxis angepasst. Dabei wurden einige Schulen auch selber aktiv und entwickelten begleitende Materialien und Hilfsmittel. In den letzten fünfzehn Jahren war Peter Lienhard in unzähligen Schulen, um seine Tipps und Tricks mit dem praktischen Einsatz des SSG an Schulteams weiterzugeben. Nun verlässt ein Schwergewicht der Heilpädagogik die berufliche Bühne. Die Wissenschaftskommunikation der HfH begleitete ihn bei einem seiner letzten Einsätze in einer Schule. Das nachfolgende Video ist ein «Best of SSG» – präsentiert vom Erfinder selbst.

SSG-Vortrag von Prof. Dr. Peter Lienhard in einem Schulteam (Dezember 2022).

Hinweis. Im Laufe der Jahre hat Peter Lienhard zahlreiche Materialien und Hilfsmittel entwickelt und gesammelt. Die Unterlagen können auf seiner persönlichen Website kostenlos heruntergeladen werden. Zur Website

Abschiedsvorlesung. Am 17. Januar 2023 hielt Peter Lienhard seine Abschiedsvorlesung an der HfH. Zum Nachbericht

Autoren: Steff Aellig, Dr. und Dominik Gyseler, Dr., HfH Wissenschaftskommunikation (März 2023)