Sprachentwicklungsstörungen wachsen mit

Antrittsvorlesung

Die Entwicklung der kindlichen Sprache ist vielfältig. Und so sind es auch die Störungen, die im Verlauf dieser Entwicklung auftreten können. Die Herausforderung in der Praxis ist, Sprachentwicklungsstörungen möglichst früh zu erkennen, sagt Susanne Kempe Preti im Rahmen ihrer Antrittsvorlesung.

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Susanne Kempe Preti Titel Prof.

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Professorin für Interventionen bei Sprach- und Sprechstörungen

Problemfeld wenig bekannt. Wie bekannt sind Sprachentwicklungsstörungen in der Gesellschaft? Eine Befragung wurde in achtzehn Ländern durchgeführt, und die Ergebnisse lassen aufhorchen: Während neunzig Prozent Störungen im Autismusspektrum oder der Aufmerksamkeit kennen, sind es bei Sprachentwicklungsstörungen nur sechzig Prozent. Besonders brisant: Das ist auch bei pädagogisch tätigen Personen so, zum Beispiel in Spielgruppen oder Kitas. «Gerade diese Personen müssen wir gut sensibilisieren, um Sprachstörungen in ihrem frühen Stadium zu erkennen – und dann zu behandeln», sagt Susanne Kempe Preti, Professorin an der HfH. Ein Beispiel sind sogenannte «Verhörer», die auf den ersten Blick belustigen: Ein Kind sagt «Mamalade» statt «Marmelade» oder «Apfeleimer» statt «Abfalleimer». Solche Phänomene seien typisch, erklärt Kempe. «Gesprochene Sprache ist äusserst flüchtig, und korrekt und fast korrekt liegen sehr nahe beieinander.»

Folgen für Bildung und Beruf. Sollen Kinder ihren Wortschatz aufbauen und korrekt reden lernen, dann müssen sie genau hinhören und gut abspeichern können. Doch diese so genannte auditive Wahrnehmung und Verarbeitung kann beeinträchtigt sein. Wird das rechtzeitig erkannt, so sind diese Störungen therapeutisch recht gut zugänglich, erklärt Susanne Kempe. «Aber wenn man nichts macht, können sich später ernsthafte Probleme in Schule und Beruf ergeben.» Das sieht man am Beispiel des so genannten Illettrismus: Rund achthunderttausend Menschen in der Schweiz können kaum lesen und schreiben – obwohl sie hier zur Schule gegangen sind. Dadurch sind sie in ihrer beruflichen und sozialen Entwicklung massiv beeinträchtigt. «Eine sorgfältige Begleitung im schulischen Schriftspracherwerb ist deshalb von zentraler Bedeutung», so Kempe. Und weil schulisches Lernen zu einem grossen Teil über Sprache läuft, geraten Kinder und Jugendliche mit unerkannten und unbehandelten Sprachentwicklungsstörungen zunehmend in eine Sackgasse. «Sprachentwicklungsstörungen wachsen sich nicht aus, sie wachsen mit», ist die Professorin überzeugt.

Herausforderung Mehrsprachigkeit. Besonders gefährdet sind Kinder mit einem mehrsprachigen Hintergrund. «Hier kann sich eine Sprachentwicklungsstörung quasi hinter der Mehrsprachigkeit verstecken und wird noch später erkannt», erklärt Kempe das Problem. Es braucht eine spezifische Diagnostik durch Fachpersonen, um Störungen zu erkennen und zu behandeln. «Tendenziell fallen diese Kinder und Jugendlichen mit komplexen Schwierigkeiten und zusätzlichen Entwicklungsproblemen auf», so Kempe, «das ist dann eine ganz besondere Herausforderung für die Therapie». Welche Ziele Susanne Kempe mit ihrer Professorinnenstelle verfolgt, und welche Antworten sie auf den grassierenden Fachkräftemangel hat, erklärt sie im nachfolgenden Video-Interview.

Video-Interview mit Susanne Kempe Preti.

Die Veranstaltung fand am 23. Mai 2023 an der HfH statt und wurde online übertragen. Prof. Susanne Kempe Preti ist Professorin für Interventionen bei Sprach- und Sprechstörungen am Institut für Sprache und Kommunikation unter erschwerten Bedingungen.

Autoren: Steff Aellig, Dr., und Dominik Gyseler, Dr., HfH Wissenschaftskommunikation; Mai 2023