Tagung «écolsiv» und Kickoff Netzwerk Inklusive Bildung an Hochschulen

Kategorie News

Der zweite Begegnungstag «écolsiv» stand im Zeichen des gleichnamigen Projekts und war der offizielle Termin für den Kickoff des Nachfolgeprojekts Inklusive Bildung an Hochschulen «stark3». Ziel ist es, ein Netzwerk aufzubauen, um die Inklusion an Hochschulen voranzutreiben.

Kontakt

Cornelia Müller Bösch Titel Prof.

Funktion

Professorin für Bildung bei kognitiver Beeinträchtigung

Chantal Deuss Titel lic. rer. soc.

Funktion

Advanced Consultant

Die Tagung wurde mit einer Begrüssungsrede von Prof. Dr. Eva Ebel, Direktorin unterstrass.edu und Prof. Dr. Carlo Wolfisberg, Leiter Institut für Behinderung und Partizipation an der HfH, eröffnet. Matthias Gubler, lic. phil., Leiter Institut Unterstrass, Cristina Raissig und Prof. Cornelia Müller Bösch, Professorin für Bildung bei kognitiver Beeinträchtigung, hielten anschliessend das Einstiegsreferat zum Thema Inklusion an Hochschulen. Das zweite Referat von Prof. Dr. Silvia Pool Maag, Inhaberin der Professur für Sonderpädagogik mit dem Schwerpunkt Inklusion und Diversität (PHZH) und Dr. David Labhart, Praxiscoach écolsiv am Institut Unterstrass, bot einen Einblick in Modelle und Entwicklungen der inklusiven Hochschule im nationalen und internationalen Rahmen.

Die Tagungsteilnehmenden konnten am Nachmittag an zwei von insgesamt neun Panels teilnehmen und sich zu konkreten Projekten wie dem BLuE: Bildung, Lebenskompetenz und Empowerment der PH Salzburg oder écolsiv (Institut Unterstrass) austauschen, mit Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung sowie mit Vertreter:innen von Fachhochschulen (u. a. FHNW, OST), Pädagogischen Hochschulen (u. a. HfH, PHZH), Vereinen, Verbänden und Institutionen (u. a. Blindspot, SEGEL, pro infirmis, Züriwerk, SZH, PluSport) über Herausforderungen und Chancen der inklusiven Hochschulbildung diskutieren.

Erfolgreicher Kickoff des Projekts «stark3»

Im Anschluss an die Podiumsdiskussion mit namhaften Gästen bildeten sich aus der heterogenen Gruppe der Anwesenden drei Arbeitsgruppen, welche die Inklusive Bildung an Hochschulen hinsichtlich der drei zentralen Felder Menschen, Bildungsorte und Arbeitsorte diskutierten. Die Teilnehmenden waren sichtlich interessiert an einem Austausch – und somit ist das Ziel, an der Tagung das Netzwerk «stark3» zum Thema Inklusive Bildung an Hochschulen zu starten, gelungen.

Podiumsdiskussion an der Tagung zum Thema Inklusive Bildung an Hochschulen

Podiumsdiskussion

Die abschliessende Podiumsdiskussion mit Judith Adler, lic. phil., Dozentin am Institut für Sozialpädagogik und Bildung und Beauftragte für barrierefreies Studieren an der Hochschule Luzern und ehemalige Dozentin an der HfH, Prof. Dr. iur. Markus Schefer, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Basel und ab 2019 Schweizer Vertreter im UN Ausschuss der Behindertenrechtskommission, Prof. Dr. Carlo Wolfisberg, Reto Zubler, Leiter Pädagogik Schulamt der Stadt Zürich sowie Cristina Raissig und Susanne Rutishauser als Teilnehmerinnen an partizipativen Projekten, war eines der Highlights des Tagungstages und gab anregende Impulse zum Thema Inklusive Hochschulbildung. Die Podiumsdiskussion moderierte der Journalist und Radio-24-Filmredaktor Alex Oberholzer. Nachfolgend sind einige Kerngedanken der Diskussion sinngemäss zusammengefasst.

«Warum sollen Menschen mit Behinderungen an die Universität?», mit seinen angriffslustig formulierten Fragen, forderte Alex Oberholzer die Diskussionsteilnehmenden gleich zu Beginn – und während der gesamten Diskussion – heraus, Stellung zu beziehen.

Judith Adler formulierte ein Argument, welches im Verlauf der Diskussion mehrmals angeführt wurde: In Forschungsprojekten, die an Hochschulen angesiedelt sind, braucht es die Expertise der Menschen, die betroffen sind. Prof. Dr. Carlo Wolfisberg, beantwortete die Frage mit dem Hinweis, dass an der HfH Lehrer:innen auf die inklusive Bildung vorbereitet werden und die HfH somit auch als Hochschule inklusiv sein sollte. Ein aktuelles Beispiel ist der Lehrgang Gebärdensprachlehrer:in, der an der HfH ab Herbstsemester 2022 angeboten wird. Mit «stark3» wird das Nachfolgeprojekt von «écolsiv» an der HfH weitergeführt und weiterentwickelt. Solche inklusiven Projekte sollen ihren Platz an der Hochschule bekommen.

Weiter wurden die Anstellungsverhältnisse und Arbeitsorte thematisiert. In der Stadt Zürich sind einige Personen mit einer kognitiven Beeinträchtigung als Klassenassistenzen angestellt. Für Reto Zubler ist dies eine Selbstverständlichkeit. Es handle sich dabei um eine ethische Frage.

«Braucht es denn neue Massstäbe an den Universitäten?», lautete die nächste Frage. Markus Schefer griff das Argument der partizipativen Forschung wieder auf: Qualitativ hochstehende Forschung kann man nicht ohne Menschen mit Behinderungen betreiben, denn Menschen mit Behinderungen machen 20% der Gesamtbevölkerung aus. Das Projekt «écolsiv» bezeichnete er als einen Systemsprenger. Die klaren Strukturen der Universitäten wären durch dieses einmalige Projekt etwas aufgebrochen worden. Obwohl swissuniversities Gelder für die Diversität und Chancengleichheit gesprochen hat, sind Menschen mit Behinderungen jedoch selten dabei. Viele Projekte kämen nur mit Hilfe von Spenden oder im Rahmen von Stiftungen zu Stande bzw. könnten so am Leben gehalten werden. Es sei nicht attraktiv genug, sich mit Rechten von Menschen mit Behinderungen zu beschäftigen, bedauerte er. Die Universitäten sollten allen den Zugang ermöglichen, die Voraussetzungen dafür müssten neu verhandelt werden.

Judith Adler betreute das partizipative Forschungs- und Entwicklungsprojekt «SEGEL» in Kooperation mit Corinne Wohlgensinger (FH OST) an der Hochschule Luzern. Sie findet, der Lebensweltbezug solcher Projekte wäre enorm wichtig, und man lerne viel aus der Zusammenarbeit mit Menschen mit Beeinträchtigungen. Aber es würde nur dann Sinn machen, wenn sich aus den durchgeführten Projekten Schlüsse ziehen lassen, beispielsweise wenn man daraus ein erweitertes Berufsbild entwickeln kann. Im partizipativen Projekt «SEGEL Schwierige Entscheide – GEmeinsame Lösungen» wurde ein Leitfaden entwickelt, der bei der Diskussion um das Thema Selbstbestimmung einbezogen werden kann. Selbstbestimmung und unabhängige Lebensführung sind auch für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung zentral. Susanne Rutishauser und Cristina Raissig nahmen an partizipativen Projekten teil und strichen ihre positiven Erfahrungen hervor. Die bewegende Aussage «Ich bin so wie ihr, ihr seid so wie ich» von Cristina Raissig wurde vom Beifall aus dem Publikum begleitet.

«Bildung für Alle»

Die abschliessende Frage «Wieso braucht es Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen an den Universitäten?» beantworten Cristina Raissig und Susanne Rutishauser mit den beiden Aussagen: «Wir gehören auch dazu» und «Wir wollen mitwirken».

Judith Adler knüpfte mit der Bemerkung an, dass Menschen mit Beeinträchtigungen oft unterschätzt würden – und Prof. Dr. Carlo Wolfisberg zitierte als Antwort den Claim, den sich die HfH auf die Fahne geschrieben hat: «Bildung für Alle».

Die Integration müsse vom Menschen ausgehend gedacht werden, betonte Reto Zubler, so auch im Hinblick auf die inklusive Hochschulbildung. Rechte stünden dem Einzelnen zu, doppelte Markus Schäfer nach – und schloss die Diskussion mit der klaren Botschaft «Weil sie Menschen sind».

Die Wichtigkeit und Dringlichkeit der inklusiven Hochschulbildung wurden dem Publikum nicht zuletzt in der Podiumsdiskussion deutlich vor die Augen geführt. Mit dem Projekt «écolsiv» wurden erste Schritte auf dem Weg hin zur inklusiven Bildung an Hochschulen gemacht. Das Folgeprojekt «stark3», welches daran anknüpft, soll die Weiterentwicklung an Hochschulen im Sinne der Inklusion vorantreiben.

Mehr zum Projekt «stark3»

Das Projekt «stark3» wird von Prof. Cornelia Müller Bösch und Chantal Deuss, lic. rer. soc. geleitet, und hat zum Ziel, ein Netzwerk zum Thema inklusive Bildung an Hochschulen aufzubauen, welches die Möglichkeiten und Grenzen der Inklusion von Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung an Hochschulen gemeinsam diskutiert und weiterentwickelt. Entstehen sollen ein «Argumentarium für Entscheidungsträger:innen» und «Guidelines zur Umsetzung von Programmen für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung an Schweizer Hochschulen». Das Projekt wird von swissuniversities unterstützt (Programm P-7 «Diversität, Inklusion und Chancengerechtigkeit in der Hochschulentwicklung 2021–2024»).

«stark3» knüpft an das Projekt «écolsiv» des Instituts Unterstrass an. Mit «écolsiv» wurden erste praktische Erfahrungen in der inklusiven Bildung von Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung an einer Hochschule gesammelt. Der erste Teilnehmer hat im Sommer 2020 das Hochschulprogramm abgeschlossen und arbeitet nun als Klassenassistent an einer Primarschule. Auf der Grundlage der Evaluation von «écolsiv» soll das Programm in andere Arbeitsfelder und Ausbildungen übertragen werden.

Die Tagung fand am Freitag, 17. September 2021 am Institut Unterstrass in Zürich statt und war ausgebucht. Der zweite Begegnungstag wurde organisiert von Matthias Gubler, MSc, Prof. Cornelia Müller Bösch und Dr. David Labhart.

Der erste Begegnungstag fand 2018 statt. Zum Rückblick (YouTube)

Autorin: Kristina Vilenica, MA, Hochschulkommunikation, HfH

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