Wenn Schüchternheit zum Problem wird

Reportage

Lange Zeit war es still um die Stillen. Doch jetzt werden die Stimmen immer lauter, die auf die Probleme schüchterner Kinder hinweisen.

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Steff Aellig Titel Dr. phil.

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Dominik Gyseler Titel Dr. phil.

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Senior Lecturer

Maja (6. Klasse) hält sich lieber im Hintergrund auf. In der Schule getraut sie sich meist nicht aufzustrecken. Oft sitzt sie einfach schweigend da. Dabei hätte sie so gerne mitgeredet und sich als Teil der Gruppe gefühlt. Noch schlimmer allerdings wird es jeweils, wenn sie ein Referat halten muss. Schon bei der Vorbereitung muss sie ständig daran denken, was ihr alles misslingen könnte: Sie stellt sich vor, dass sie kein Wort herausbringen und mit hochrotem Kopf und ohne das Referat gehalten zu haben, an den Platz zurückkehren müsste. Die Mitschüler würden sie bestimmt alle auslachen. - Wenn es dann wirklich soweit ist, zittern ihre Hände und ihr Kopf fühlt sich leer an. Sie ist nicht nur aufgeregt. Sie fühlt sich wie gelähmt. Unsicher schleicht sie nach vorne, spricht ganz schnell und kaum hörbar, den Blick auf den Boden gerichtet. Ist es endlich geschafft, setzt sie sich still an ihren Platz und ist unglücklich, nicht erleichtert. In ihrem Kopf beginnt erneut das Karussell: Jede einzelne Bewegung, jeder Satz wird auf Peinlichkeiten hin durchleuchtet.

Für das Psychologen-Ehepaar Barbara und Gregory Markway wird Schüchternheit dann zum Problem, wenn ein Kind krankhaft schüchtern ist. Der Fachbegriff dafür ist «Soziale Angststörung» (ICD-10) bzw. «Soziale Phobie» (DSM-5). Mögliche Indikatoren einer Sozialen Angststörung sind beispielsweise: Abfall von Schulleistungen, Schulverweigerung, Vermeidung sozialer Aktivitäten oder Trotz- und Wutanfälle. Die Abbildung zeigt das gesamte Schüchternheitsspektrum bis hin zur sozialen Angststörung auf:

abgebildet sind sechs Dimensionen, die sich nach Schweregrad der Schüchterheit unterscheiden

Beschreibung der Grafik. Schüchterne, aber selbstsichere Kinder sollten unterstützt und die Symptome beachtet werden. Wenn die Selbstsicherheit wegfällt und Probleme auftreten, sollte das Kind beraten und gefördert werden, z.B. mit Hilfe von «So-Fit». Falls eine mittlere bis schwere Angststörung vorliegt, muss man das Kind abklären lassen und eine Psychotherapie beginnen.

Unter «Dokumente» finden Sie eine ausführliche Checkliste mit weiteren konkreten Verhaltensweisen, um bei Bedarf eine erste Einschätzung vornehmen zu können. Im Folgenden haben wir Verhaltensempfehlungen zusammengestellt, die Sie beachten sollten:

Beziehung stärken

  • Lernen Sie das Kind besser kennen, dann können Sie es auch gezielter fördern. Die beste Hilfestellung liegt im Aufbau einer starken Lehrer-Schüler-Beziehung.
  • Beobachten Sie z. B. ganz bewusst eine Woche lang ein besonders schüchternes Kind und kommen Sie mit ihm in ein persönliches Gespräch: «Ich interessiere mich für dich. Erzähl mir von dir...»
  • Hören Sie dem Kind zu, nehmen Sie Anteil und zeigen Sie Verständnis für seine Ängste.

Strukturen geben

  • Achten Sie bei Gruppenarbeiten darauf, dass die Aufträge klar auf die Gruppenmitglieder verteilt werden. Schüchterne werden sonst schnell ins Abseits gedrängt.
  • Teilen Sie dem schüchternen Kind Ihre Wünsche klar mit: «Ich möchte gerne, dass du versuchst, dich in der Gruppenarbeit einzubringen, auch wenn du Angst davor hast.»
  • Versuchen Sie, dem Kind Erfahrungen zu ermöglichen, in denen es sich kompetent und in der Klasse akzeptiert fühlt. Ein sicherer sozialer Rahmen ist entscheidend für die soziale Entwicklung der Betroffenen.

Erfolge loben

  • Loben Sie schüchterne Kinder ganz bewusst für ihre guten Leistungen. Schüchterne Kinder brauchen besonders viel Aufmerksamkeit und positives Feedback, da sie sehr leicht übersehen werden.
  • Erinnern Sie das Kind an vergangene Erfolge, um Sätze wie «das kann ich nicht» zu entkräften.
  • Loben Sie es für das Aushalten von Angst und für konkrete Erfolge, denn dann richtet sich die Aufmerksamkeit nicht auf das ängstliche Verhalten, sondern auf die Angstbewältigung.

Möglichst unterlassen

  • Rufen Sie schüchterne Kinder nie ohne Vorankündigung auf, sondern vereinbaren Sie mit dem Kind beispielsweise, dass es eine Frage einfach an seinen Tischnachbarn «weiter geben» darf, wenn es Angst hat, nicht die richtige Antwort zu wissen.
  • Beschränken Sie die Unterrichtsbeteiligung nicht auf den mündlichen Einsatz. Suchen Sie nach alternativen Formen, die Teilhabe am Lernprozess zu beurteilen.
  • Vermeiden Sie es, die Angst des Kindes abzuwerten. Also nicht: «Du brauchst doch keine Angst zu haben». Viel besser ist es zu sagen: «Erzähl mir von deiner Angst: Wann taucht sie auf? Wie fühlt sie sich an? Was passiert dabei genau mit dir? Wie reagierst du darauf? Was hast du schon für Strategien, um die Angst zu zähmen?»

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