Heilpädagogische Früherziehung wirkt! Na klar? Pilotprojekt mit kontrollierten Einzelfallstudien

Kategorie Projekt

Ausgangslage und Ziele

Positives elterliches Befinden führt zu positiven Interaktionen der Eltern mit dem Kind und zu höheren Kompetenzen, das Kind in seiner Entwicklung und der Teilhabe am Alltagsgeschehen zu fördern.

Bewirkt die Heilpädagogische Früherziehung positive Veränderungen im Befinden von Eltern?

Diese Frage ist zentral, da die Familienorientierung als Schlüssel einer nachhaltigen und wirksamen Förderung von Kindern mit Behinderung und/oder Entwicklungsauffälligkeiten gilt. Die Eltern werden in ihren Kompetenzen und bei der Bewältigung von Belastungen unterstützt (Lütolf, Koch & Venetz, 2015; Lütolf & Venetz, 2018) und damit in ihrer Elternschaft gestärkt. Im Pilotprojekt wurden die postulierten Effekte mit kontrollierten Einzelfallstudien überprüft.

Projektleitung

Christina Koch Titel Prof.

Funktion

Professorin für Heilpädagogik der Frühen Kindheit / Leiterin Master Heilpädagogische Früherziehung

Simone Schaub Titel Dr. phil.

Funktion

Senior Researcher

Fakten

  • Dauer
    09.2021
    03.2023
  • Neue Projektnummer
    3_32

Ausgangslage und Ziele

Systemischen Wirkmodellen liegt die Annahme zugrunde, dass sich die Praktiken der Heilpädagogischen Früherziehung nicht ausschliesslich direkt auf die kindliche Entwicklung auswirken, sondern ebenso und massgeblich über die Handlungen der Eltern und deren Interaktionen mit dem Kind vermittelt werden. Familien- und ressourcenorientierte Arbeitsweisen verringern entsprechend das Belastungserleben von Eltern, während gleichzeitig deren Selbstwirksamkeitserleben und das Wohlbefinden gesteigert werden. Indirekt wirkt sich dies positiv auf die kindliche Entwicklung aus (siehe Abbildung 1).

Im Pilotprojekt wurden die postulierten Effekte der Heilpädagogischen Früherziehung auf das elterliche Befinden mit folgenden Zielen überprüft:

  1. Überprüfung der Durchführbarkeit kontrollierter Einzelfallstudien in der regulären Praxis der Heilpädagogischen Früherziehung.
  2. Überprüfung von Effekten der Heilpädagogischen Früherziehung auf das elterliche Befinden.
Abbildung 1. Vereinfachtes Wirkmodell der Heilpädagogischen Früherziehung (HFE).
Abbildung 1. Vereinfachtes Wirkmodell der HFE

Methodik: Kontrollierte Einzelfallstudien

Kontrollierte Einzelfallstudien bezeichnen ein experimentelles Forschungsdesign zum Nachweis einer kausalen Beziehung zwischen der Einführung einer Intervention und der Veränderung, beispielsweise im Befinden einer Person (Mohr & Venetz, 2017). Somit ermöglichen kontrollierte Einzelfallstudien den Wirksamkeitsnachweis auf der Ebene des Individuums in seinem natürlichen Alltag und sind besonders geeignet zum Abbilden der komplexen Wirkweise der Heilpädagogischen Früherziehung. Kernmerkmale der Heilpädagogischen Früherziehung wie die grosse Vielfalt an Interventionsarten, die Kontextorientierung, die Heterogenität der Kinder und Familien sowie die kleine Population können auf diese Weise berücksichtigt werden. In der Pilotstudie wurden in Rahmen von Masterarbeiten sechs kontrollierte Einzelfallstudien mit einem Multiplen Baseline Design mit 21 Müttern und Vätern durchgeführt. In einem Kurzfragebogen, welcher über das Smartphone versendet wurde, wurden die Eltern während zehn Wochen täglich zu ihrem Befinden (z.B. zum Selbstwirksamkeitserleben) gefragt. Alle Familien starteten während der Befragungszeit neu mit der Heilpädagogischen Früherziehung.

Ergebnisse

Insgesamt 920-mal gaben die Mütter und Väter in der Pilotstudie Einblick in ihr aktuelles Befinden im Alltag. Die Analyse der Effekte zeigt, dass Heilpädagogische Früherziehung wirkt, na klar! In den Effekten spiegelt sich die Vielfalt der Familien in der Heilpädagogischen Früherziehung deutlich wider. Positive Veränderungen im Befinden zeigen sich insbesondere bei Familien mit geringen psychosozialen Ressourcen.

Die Heterogenität der Familien wird auch in den Verläufen des Befindens nach dem ersten Besuch der Heilpädagogischen Früherzieherin sichtbar. Bei Familien mit geringen Ressourcen trat die positive Wirkung nicht unmittelbar ein. Vielmehr weisen die anfänglich negativen Reaktionen mit beeinträchtigtem Befinden auf den Beginn der Heilpädagogischen Früherziehung als sensible Phase in den Familien hin. Eine positive Steigerung des Befindens setzte erst im Verlauf der Folgewochen ein.

Diskussion und Fazit für die Praxis

Zusammengenommen legen die Befunde nahe, dass sowohl die Überprüfung der Effektivität als auch der individuellen Prozesse zur Evidenzbasierung der Heilpädagogischen Früherziehung beitragen. Die regelmässigen Befragungen konnten zudem gut in den (Praxis-)Alltag integriert werden und stiessen auf hohe Akzeptanz bei den Familien und den Heilpädagogischen Früherzieherinnen. Damit erweisen sich kontrollierte Einzelfallstudien als geeignet, um der Komplexität und Vielschichtigkeit der Wirkweise der Heilpädagogischen Früherziehung gerecht zu werden.

Literatur

Lütolf, M. & Venetz, M. (2018). Familienorientierung als Kriterium von Wirksamkeit Heilpädagogischer Früherziehung? Theoretische Überlegungen und empirische Befunde. Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete, 87(3), 248–258. doi:10.2378/vhn2018.art25d

Lütolf, M., Koch, Ch., & Venetz, M. (2015). Spannungsfeld Familienorientierung. BVF-Forum, 87(1), 5–13.

Lütolf, M., Venetz, M. & Koch, Ch. (2016). Wirksamkeit der heilpädagogischen Früherziehung. Eine tätigkeitsorientierte Annäherung. Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, 22(3), 20–26.

Mohr, L. & Venetz, M. (2017). Praxisbasierte Evidenz in der Pädagogik bei schwerster Behinderung. Sonderpädagogische Förderung heute, 62(4), 394–404.

Publikationen

  • Koch, C., & Schaub, S.
    Single-case designs to assess the effectiveness of family orientation in early childhood special education on parents’ psychological and emotional state: A pilot study
    [Poster].
    3rd Annual Meeting of the Swiss Society for Early Childhood Research,
    Zürich, Schweiz.
  • Koch, C., & Schaub, S.
    Single-case experimental studies on the effect of early childhood special education on parental well-being
    [Poster].
    4th Annual Meeting of the Swiss Society of Early Childhood Research,
    Lausanne, Schweiz.
  • Koch, C., & Schaub, S.
    Heilpädagogische Früherziehung wirkt. Na klar? Kontrollierte Einzelfallstudien zum Erleben und Befinden von Eltern während den ersten Wochen der Heilpädagogischen Früherziehung.
    Mitgliederversammlung des Berufsverbandes Heilpädagogische Früherziehung,
    Zofingen, Schweiz.
  • Koch, C., & Schaub, S.
    Die Wirksamkeit der Frühförderung: Pilotstudie mit kontrollierten Einzelfallstudien
    [Konferenzvortrag].
    22. Symposium Frühförderung,
    Köln, Deutschland.
  • Koch, C., & Schaub, S.
    Parental well-being as an outcome of early childhood special education: Preliminary evidence on effectiveness and mechanisms
    [Konferenzvortrag].
    5th Annual Meeting of the Swiss Society of Early Childhood Research,
    St. Gallen, Schweiz.
  • Koch, C., & Schaub, S.
    Aufgabenfelder und Wirkweisen der Heilpädagogischen Früherziehung.
    Ringvorlesung Forschung und Praxis in der Frühen Kindheit,
    Pädagogische Hochschule Thurgau.