Begabungs- und Begabtenförderung

Kategorie Institutsthema

Lernende mit besonderen Begabungen können für Lehrpersonen eine grosse Herausforderung  im Schulalltag sein. Die HfH unterstützt Schulen und Fachpersonen, um Unterforderung begabter Kinder und damit negative Auswirkungen auf ihre Entwicklung zu vermeiden.

Kontakt

Anuschka Meier-Wyder Titel Dr. phil.

Funktion

Senior Lecturer

Das Ziel der Schule ist allen Kindern und Jugendlichen eine bedarfsgerechte Erziehung und Bildung zu ermöglichen. Die Stärken und Neigungen der Schüler:innen und allfällige besondere pädagogische Bedürfnisse begabter Schüler:innen zu berücksichtigen, gehört ebenfalls dazu.

Was bedeutet Begabung? Der Begriff «Begabung» bezieht sich allgemein auf das Leistungsvermögen und speziell auf den individuellen Entwicklungsstand leistungsbezogener Potenziale eines Menschen (iPEGE, 2009, S. 17). Im pädagogischen Kontext wird eine begabte Person als jemanden mit überdurchschnittlichem Leistungs- und Entwicklungspotenzial beschrieben. Hochbegabung hingegen bezieht sich auf ein aussergewöhnliches Potenzial für herausragende Leistungen, das sich grundsätzlich in verschiedenen Lebensbereichen zeigen kann. Heute international anerkannte Modelle betrachten Begabung als mehrdimensional und dynamisch: Eine hohe Intelligenz alleine reicht für hohe Leistungen nicht aus. Vielmehr wird die Entfaltung von Begabungen als Ergebnis einer Wechselwirkung verschiedener Faktoren verstanden. (Preckel und Vock, 2021).

Mehr zum Begriff «Begabung»

Begabung ist ein sehr unscharf abzugrenzender Begriff. In der aktuellen Fachdiskussion werden die Begriffe Begabung und Hochbegabung weder in der wissenschaftlichen Literatur noch in erzieherischen und schulischen Handlungskontexten klar voneinander unterschieden oder präzise beschrieben. Mit Blick auf den internationalen Diskurs besteht zwar Übereinstimmung in der Auffassung, dass sich Begabung und Hochbegabung keinesfalls einseitig über den Intelligenzquotienten bestimmen lassen (Weigand, 2014).

Begabung und Hochbegabung sind abstrakte Konzepte und nicht direkt beobachtbar. Beobachtbar ist das Verhalten in bestimmten Leistungssituationen, in denen Kriterien für erfolgreiches Verhalten definiert werden können (Hagmann-von Arx et al., 2021; Preckel und Vock, 2021).

Begabung als Herausforderung für die Schulen

Die Förderung von Begabungen in der Schule ermöglicht es begabten Kindern und Jugendlichen, ihre individuellen Stärken weiterzuentwickeln. Es ist entscheidend, Begabungen frühzeitig zu erkennen, da dauerhafte Unterforderung negative Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die persönliche sowie schulische Entwicklung haben kann (Lehwald, 2017; Preckel und Vock, 2021).

Die Begabungsforschung identifiziert verschiedene Risikogruppen, denen es aus unterschiedlichen Gründen nicht gelingt, ihr Potenzial sichtbar zu machen und demzufolge keine für sie anregenden Lernangebote erhalten sowie bei der Nomination für Förderprogramme unbemerkt bleiben: Davon betroffen sind Kinder aus bildungsfernen Familien oder mit fremdsprachigem Hintergrund. Kinder aus benachteiligten Schichten müssen in ihrer Bildungslaufbahn, besonders bei Übergängen, deutlich höhere Hürden bewältigen als ihre privilegierten Mitschüler:innen. Hürden, die nicht immer plausibel zu begründen und rechtfertigen sind und somit auf eine Reproduktion der Chancenungleichheit durch die Schule hinweisen (Sedmat, Kapferer, 2021). Aber auch die Begabungen von stillen Lernenden, welche sich nicht bemerkbar machen, oder lebhaften Kindern, deren Verhalten als störend gewertet wird, werden gerne übersehen bzw. falsch interpretiert. Eine weitere Gruppe von Lernenden deren Potential oft nicht erkannt wird, stellen die sogenannten Minderleister:innen dar. Ihre Begabungen bleiben häufig unentdeckt, weil sie aus Unterforderung oder fehlenden Fähigkeiten zur Selbststeuerung nicht in der Lage sind ihr Potenzial in Leistung umzusetzen.

Damit Begabungs- und Begabtenförderung an den Schulen sichergestellt werden kann, müssen sich erfolgreiche Schulen zu professionellen Lerngemeinschaften entwickeln, in denen alle Akteur:innen eng zusammenarbeiten. Dazu braucht es auch Lehrpersonen, die sich zu Spezialist:innen der Begabungs- und Begabtenförderung weiterbilden.

Weiterbildungs- und Beratungsangebote

Das Institut für Lernen unter erschwerten Bedingungen stellt eine breite Palette von Informations- und Beratungsdiensten im Bereich der Begabungs- und Begabtenförderung für Fachpersonen und Schulen zur Verfügung. Die Mitarbeitenden bieten massgeschneiderte Dienstleistungen und Weiterbildungsmöglichkeiten an, um Schulteams zu unterstützen und die beruflichen Fähigkeiten von Schulleitungen, Lehrpersonen, Logopäd:innen, Schulischen Heilpädagog:innen und anderen interessierten Fachleuten weiterzubilden.

Know-how zur ganzheitlichen Erfassung der spezifischen Situation und allfälliger Problemlagen der begabten Schüler:innen, daran anschliessende Planung und Umsetzung von passgenauen Lernangeboten sowie deren Evaluation für Lernende sind Bestandteil der Weiterbildungsangebote:

Forschung

Die Begabungs- und Begabtenförderung als Teil der Schul- und Unterrichtsentwicklung gehört also zum Grundauftrag der Regelschule. Doch wie gut gelingt es der Schule tatsächlich, den Potenzialen der einzelnen Lernenden Rechnung zu tragen?

Bisher gibt es keinen umfassenden Überblick über die Art, den Umfang und die Durchführung der Angebote in allen deutschsprachigen Kantonen der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein. Deshalb hat die HfH ein Projekt initiiert, das einen Einblick in die aktuelle Angebotssituationen liefern soll.

Mehr zum Projekt erfahren

Das Projekt «Begabungs- und Begabtenförderung an Volksschulen der Deutschschweizer Kantone und dem Fürstentum Liechtenstein. Eine Befragung von Schulen zur aktuellen Angebotssituation» wird geleitet von Anuschka Meier.

Die Ergebnisse der Befragung sollen ein differenziertes Bild darüber geben, wie sich die Situation bezüglich Begabungs- und Begabtenförderung in den Deutschschweizer Kantonen und dem Fürstentum Liechtenstein aktuell darstellt. Zum einen geht es dabei um Fakten (was, mit welchen Mitteln, in welchem Umfang, usw.), zum anderen sollen auch die Erfahrungen und Meinungen der befragten Schulleitenden analysiert werden, um besser zu verstehen, warum und wie das Angebot umgesetzt und gestaltet wird.

Eine Bestandsaufnahme ist auch deshalb wichtig, weil gelegentlich darauf hingewiesen wird, dass hochbegabte Schüler:innen in der Schule zu wenig gezielt gefördert werden. Die Ergebnisse sollen deshalb solche Lücken aufzeigen und eine Grundlage sein, um Verbesserungen anzuregen. Die Daten werden als gesamtes Bild über die Deutschschweiz ausgewertet. Ein Vergleich zwischen den Kantonen wird nicht möglich sein.

Der Elternverein hochbegabter Kinder initiierte als Drittmittelakquisiteur die Fördermittel und wählte die Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik, um das Projekt umzusetzen.

Literaturhinweise

  • D-EDK, Schweizerische Konferenz der Kantonalen Erziehungsdirektoren. (2014). Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz: Lehrplan 21. Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz: Lehrplan 21. Verfügbar unter: https://www.lehrplan.ch
  • Horvath, K. (2021). Elite, Begabung und soziale Ungleichheit - ungelöste Gerechtigkeitsfragen (Pädagogik). In V. Müller-Oppliger & G. Weigand (Hrsg.), Handbuch Begabung (1. Auflage 2021., S. 77–87). Weinheim Basel: Beltz.
  • IPEGE (International Panel of Experts for Gifted Education. (2009). Professionelle Begabtenförderung Empfehlungen zur Qualifizierung von Fachkräften in der Begabtenförderung. Salzburg: Österr. Zentrum für Begabtenförderung und Begabungsforschung.
  • Lehwald, G. (2017). Motivation trifft Begabung: begabte Kinder und Jugendliche verstehen und gezielt fördern (1. Auflage.). Bern: Hogrefe.
  • Margolin, L. (2018). Gifted Education and the Matthew Effect. In K. Horvath (Hrsg.), Begabung und Gesellschaft. Sozialwissenschaftliche Perspektiven auf Begabung und Begabtenförderung (S. 165–182). Wiesbaden: Springer VS.
  • Preckel, F. und Vock, M. (2021). Hochbegabung: ein Lehrbuch zu Grundlagen, Diagnostik und Fördermöglichkeiten (2., überarbeitete Auflage.). Göttingen: Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG. https://doi.org/10.1026/02850-000
  • Quenzel, G. und Hurrelmann, K. (Hrsg.) (2019). Handbuch Bildungsarmut (Springer VS Handbuch). Wiesbaden: Springer VS.
  • Sedmak, C. und Kapferer, E. (2021). Begabtenförderung und Bildungsgerechtigkeit (Pädagogik). In V. Müller-Oppliger und G. Weigand (Hrsg.), Handbuch Begabung (1. Auflage 2021., S. 65–76). Weinheim Basel: Beltz. 
  • Weigand, G. (2014). Begabung oder Hochbegabung (Reihe Hochbegabung und pädagogische Praxis). In G. Weigand, A. Hackl, V. Müller-Oppliger, G. Schmid, C. Maulbetsch, G. Schmidt et al. (Hrsg.), Personorientierte Begabungsförderung: eine Einführung in Theorie und Praxis (Dr. nach Typoskript., S. 37–46). Weinheim Basel: Beltz.