Emotionale Intelligenz fördern: Tuning in to kids

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Wenn Eltern und Lehrpersonen lernen, Emotionen von Kindern wahrzunehmen, aufzugreifen, zu begleiten und zu «coachen», profitieren alle: Kinder lernen zum Beispiel einen gesunden Umgang mit Angst, Ärger oder Wut. Verhaltensauffälligkeiten nehmen ab, die Atmosphäre verbessert sich, die Beziehung zu Eltern und Lehrpersonen wird besser, und diese fühlen sich kompetenter und gelassener. 

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Susan Christina Annamaria Burkhardt Titel Dr. phil.

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Advanced Researcher

Angst, Wut, Traurigkeit, Freude, Scham. Wie können wir auf eine gesunde Art und Weise mit unseren Gefühlen umgehen? Diese Fähigkeit zu erlernen, ist eine der wichtigsten Aufgaben in der Kindheit. Auch die Schule hat, spätestens seit dem Lehrplan 21, den Auftrag, sozio-emotionale Kompetenzen der Kinder zur fördern.

Zahlreiche wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass die Fähigkeit zum Umgang mit Gefühlen in der Vorbeugung von psychischen Erkrankungen und Verhaltensproblemen sehr wichtig ist. Eltern und Lehrpersonen können Kinder entscheidend darin unterstützen, den gesunden Umgang mit Gefühlen zu lernen. Eine gut beforschte und einfach zu erlernende Möglichkeit, wie das gehen kann, ist das Programm Tuning in to kids – Sich in Kinder einfühlen (TIK). Es wurde an der Universität Melbourne entwickelt und seither in vielen Ländern unterschiedlicher Kulturen (Norwegen, Iran, Hong-Kong, Deutschland, USA, Türkei) erfolgreich eingesetzt. Diese internationalen Studien zeigen, dass das TiK-Training nachweislich die Beziehung zwischen Eltern (bzw. Lehrpersonen) und ihren Kindern sowie die emotionale Intelligenz der Kinder verbessert.  In der Schweiz haben in einem Forschungsprojekt der HfH in den Jahren 2021 und 2022 115 Familien aus acht Kantonen an dem Programm teilgenommen und davon profitiert. 

An wen richtet sich das Programm?

Das Programm richtet sich an Eltern und Lehrpersonen von Kindern im Alter zwischen drei und zehn Jahren und verfolgt einen emotionsfokussierten Ansatz, der Elemente aus verschiedenen theoretischen Strömungen (z. B. Bindungstheorie, dialektisch-behaviorale Therapie, Achtsamkeitstherapie, neurowissenschaftliche Erkenntnisse) sowie entwicklungspsychologische Aspekte kombiniert.

Emotionscoaching. Ein zentraler Bestandteil von TIK ist das Emotionscoaching nach Gottman & Gottman. Emotionscoaching ist eine emotionsbezogene Erziehungspraktik, die vor allem in der Phase der Emotionssozialisation von Kindern, im Alter zwischen drei und neun Jahren, eine wichtige Rolle spielt. In dieser Zeit werden Metakognitionen und Metaemotionen gebildet, festigen sich und sind unbewusst und implizit verhaltens- und erlebensleitend. Diese Einstellungen zu Gefühlen, Metaemotionen, werden wiederum von der Art und Weise beeinflusst, wie primäre Bezugspersonen auf den eigenen Emotionsausdruck reagieren. 

Je nachdem also, ob die Bezugspersonen Gefühle ignorieren, bestrafen, versuchen von ihnen abzulenken oder zum Ausdruck ermutigen und/oder Emotionsregulationsstrategien vermitteln (Emotionscoaching), entwickeln Kinder Vorstellungen davon, wie sie selbst mit ihren Gefühlen umgehen und ob sie sie benennen und regulieren können. Solche Metaemotionen übertragen sich also über die Erziehung transgenerational. Kernziel von Tuning in to Kids ist daher, Metaemotionen der Bezugspersonen, die auf das Unterdrücken oder Bestrafen von Gefühlen abzielen, zu hinterfragen und stattdessen zu etablieren, dass alle Gefühle, auch unangenehme, ihre Funktion und Berechtigung haben, jedoch nicht alle Verhaltensweisen erlaubt sind. Von Laissez-faire kann also keine Rede sein; im Gegenteil ist ein wichtiger Schritt des Emotionscoachings, Grenzen zu setzen und konstruktive Lösungen, gemeinsam mit dem Kind, zu finden. 

Ob es für «unauffällige» Kinder, Kinder mit Verhaltensproblemen oder gar traumatischen Erfahrungen angewandt wurde, spielte keine Rolle: die Ergebnisse sind immer die gleichen: Verhaltensprobleme verringern sich, das Familienklima beruhigt sich, das Belastungserleben der Eltern sinkt und die Emotionsregulationskompetenzen der Kinder (und teils auch der Eltern / bzw. Lehrpersonen) nehmen zu. Somit ist TIK auf allen Interventionsstufen (als universelle, selektive und auch als indizierte Intervention) eine erfolgreiche Methode zur Reduktion von Verhaltensschwierigkeiten durch die Förderung der sozio-emotionalen Entwicklung und psychischen Gesundheit von Kindern und daher auch für Lehrpersonen interessant und relevant, gerade in integrativen Schulen. 

Fünf Schritte des Emotionscoachings

Konkret besteht das Emotionscoaching aus den folgenden fünf Schritten: 

  1. Sich der Emotionen des Kindes bewusstwerden, insbesondere wenn sie noch nicht sehr intensiv sind.
  2. Die Emotionen des Kindes als Gelegenheit für Nähe und Anleitung anerkennen. 
  3. Empathisch zuhören und die Gefühle des Kindes validieren.
  4. Dem Kind dabei helfen, Worte zu finden, um die Emotion zu beschreiben und im Körper zu lokalisieren.
  5. Unangemessenem Verhalten Grenzen setzen und/oder das Kind beim Problemlösen unterstützen.

TIK umfasst in der Elternvariante sechs wöchentliche Gruppentreffen à 2,5 Stunden und nutzt zur Vermittlung der Inhalte Psychoedukationsmodule und Gruppendiskussionen, Rollenspiele, erlebnisorientiertes Lernen und Entspannungsverfahren. Eltern werden ermutigt, sich über ihre Metaemotionen und wie diese ihr Erziehung beeinflussen, auszutauschen. Anhand konkreter Beispiele werden die Schritte im vorgefertigten und freien Rollenspielen und spezifischen Übungen ausprobiert und darüber ausgetauscht. Eltern werden darüber hinaus ermutigt, eigene Strategien zur emotionalen Selbstfürsorge zu finden, da die elterliche Emotionsregulation für eine achtsame Herangehensweise unabdingbar ist.

Teilnehmer:innen berichten übereinstimmend, dass dieser neue Umgang mit Emotionen so manche bisher schwierige Situation entschärft und aufgelöst hat. Problematische Situationen eskalieren nicht mehr automatisch, sondern werden konstruktiv gelöst, ehe die Emotion zu stark und kaum mehr zu bändigen und das Nervensystem des Kindes ein bisschen überfordert ist. Dann müsste das Kind sich wiederum erst beruhigen, damit es aufnahmefähig ist für ein Gespräch. 

Eine aktuelle Weiterentwicklung von TIK ist der «whole school approach», in den neben Eltern und Kindern auch die Lehrpersonen und andere schulische Fachpersonen eingebunden werden. Nachweislich wirken Interventionen am besten, wenn sie von der ganzen Schule mitgetragen und auf Schulebene implementiert werden. Dieser neue, systemische 360°-Ansatz von TIK ist möglicherweise eine Antwort auf die brennenden Probleme der integrativen Schule in der Schweiz: Lehrpersonen werden entlastet, erleben sich als kompetenter, das Schulklima beruhigt sich, Verhaltensauffälligkeiten gehen zurück und die Eltern können kompetente Partner:innen der Schule sein, weil Schule und Elternhaus an einem Strang ziehen und sich nicht widersprechen. Ab 2024 ist hierzu ein Forschungsprojekt der HfH geplant. Schulen können sich unverbindlich melden, wenn Interesse zur Teilnahme besteht (tik [at] hfh.ch). Zusätzlich werden bereits im Frühjahr und Herbst 2023 Onlinekurse für Lehr- und schulische Fachpersonen im Rahmen des Weiterbildungsprogramms der HfH angeboten. Zur Weiterbildung: Webinar «Emotionale Intelligenz von Kindern fördern – TiK»