Zürcher Längsschnittstudie «von der Schulzeit bis ins mittlere Erwachsenenalter» (ZLSE)

Kategorie Projekt

Ausgangslage und Ziele

Die Zürcher Längsschnittstudie ZLSE widmet sich Fragestellungen rund um die schulische, berufliche und ausserberufliche Entwicklung von der Jugendzeit (9. Klasse, 15. Lebensjahr) bis in die Lebensmitte (52. Lebensjahr). Im Zentrum stehen Fragen zu Risiko- und Schutzfaktoren für Entwicklungsverläufe mit Fokus auf die berufliche Entwicklung. Dieser einzigartige Datensatz mit über 4000 Variablen zu psychosozialen Faktoren in der Jugendzeit sowie detaillierte Angaben zur beruflichen und persönlichen Entwicklung bis ins mittlere Erwachsenenalter beschreibt eine repräsentative Deutschschweizer Stichprobe mit dem Jahrgang 1963. Die Daten werden via SWISSUbase für Forschungszwecke zugänglich gemacht.

Projektleitung

Claudia Schellenberg Titel Prof. Dr.

Funktion

Professorin für die berufliche Integration von Jugendlichen mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen

Kurt Häfeli Titel Prof. Dr. em.

Funktion

Ehemaliger Leiter Forschung und Entwicklung

Fakten

  • Dauer
    01.1977
    10.2018
  • Projektnummer
    1_13

Kooperationen

  • Abteilung Entwicklungs- und Persönlichkeitspsychologie, Universität Basel

Finanzielle Unterstützung

  • Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI

Übersicht

Die ZLSE-Studie umfasst bis heute elf Erhebungen aus fünf verschiedenen Projekten. Die Studie deckt eine Lebensspanne vom 15. bis zum 52. Lebensjahr ab und begann 1978, als die Teilnehmenden ihr letztes obligatorisches Schuljahr besuchten. Die letzte Erhebung fand 2015 statt. Dies ermöglicht es, die berufliche Entwicklung der sogenannten «Babyboom-Generation», die 1963 geboren wurde, im Kontext der grossen wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Veränderungen der letzten 30 Jahre zu verfolgen. Der Fokus der Studie liegt zum einen auf einer breiten Erfassung verschiedener Persönlichkeitsdimensionen, ergänzt durch soziobiographische Informationen im Jugendalter, und zum anderen auf der beruflichen und ausserberuflichen Entwicklung vom Jugend- zum Erwachsenenalter. Derzeit liegen Daten (ursprünglich 4440 Variablen, von denen 55 zum Zwecke der Anonymisierung gelöscht wurden) von 807 Personen vor, die für die Deutschschweiz repräsentativ sind. Die Datenbasis ermöglicht es, verschiedene spannende Fragestellungen zu untersuchen. Vergleichbare Studien in der Schweiz sind TREE oder die später gestartete COCON-Studie, die ähnliche Fragestellungen untersuchen. Hier sind interessante Quervergleiche mit jüngeren Kohorten möglich.

Projektphasen

  • Phase 1: Berufswahl. In den 1970er Jahren gab es in der Schweiz einen Mangel an qualifizierten jungen Menschen, die eine Lehre anstrebten. Dies bereitete dem Schweizerischen Gewerbeverband grosse Sorgen, und so wurde ein Forschungsprojekt an der Universitäten Lausanne und Zürich initiiert mit dem Titel «Berufswahl und Berufsausbildung von Lehrlingen in der Schweiz» (Leitung: Francis Gendre, Jean-Blaise Dupont, François Stoll, Finanzierung: Schweizer Wirtschaftsministerium). Das Hauptziel des Projekts (1977–1982) bestand darin, die Determinanten und den Verlauf des Berufswahlprozesses zu untersuchen.
  • Phase 2: In Anlehnung an die Studien zu den wechselseitigen Auswirkungen von Arbeitsbedingungen und Persönlichkeit wurde untersucht, ob und inwiefern die Persönlichkeitsentwicklung zwischen 15 und 19 Jahren mit der Arbeits- und Ausbildungssituation der Jugendlichen zusammenhängt. Diese zwischen 1980 und 1984 durchgeführte Studie wurde von Urs Schallberger (Psychologisches Institut, Universität Zürich) geleitet und vom Schweizerischen Nationalfonds finanziert.
  • Phase 3: Berufseinstieg. Gegenstand dieser Phase der Umfrage waren die ersten Karriereschritte und Anpassungsprozesse der jungen erwachsenen Teilnehmer nach Abschluss ihrer Berufsausbildung oder ihrer nächsten Schritte nach Abschluss einer allgemeinen Schulbildung an einem Gymnasium. Dieses Projekt (1982–1985) wurde erneut von Francis Gendre von der Universität Lausanne durchgeführt und vom Schweizerischen Nationalfonds finanziert.
  • Phase 4: Karriereentwicklung und Familie. Ziel war es, die inzwischen 36-jährigen Teilnehmer der Phase 2 zu ihrer beruflichen Karriereentwicklung und ihrer aktuellen Situation zu befragen.  Diese Informationen konnten dann mit Faktoren aus der Jugendzeit in Verbindung gebracht werden, z. B. dem Einfluss von Risiko- und Schutzfaktoren in der Jugend auf die Zufriedenheit und den Erfolg im jungen Erwachsenenalter. Diese Studie (1998–2002) wurde unter der Leitung von Urs Schallberger und Claudia Spiess Huldi von der Universität Zürich durchgeführt.
  • Phase 5: Kontinuität und Wandel. In dieser Phase interessierte die Karriere- und Persönlichkeitsentwicklung von der Jugend bis ins mittlere Erwachsenenalter. Wie viel Wandel und Kontinuität können beobachtet werden? Was sind mögliche Einflüsse auf die horizontale und vertikale berufliche Mobilität? Das Projekt (2011-2017) wurde vom Schweizerischen Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) finanziert und von Kurt Häfeli und Claudia Schellenberg (Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik, Zürich) sowie Alexander Grob (Psychologisches Institut, Universität Basel) geleitet.

Methodisches Vorgehen

Die ursprüngliche Stichprobe betrug 2357 Personen für die ganze Schweiz (Schallberger & Spiess Huldi, 2001). Bei weiteren Phasen erfolgten eine Einschränkung auf die Deutschschweiz. Durch gezieltes Nachsampling bei der letzten Erhebung im Jahr 2012 konnten 806 Personen rekrutiert werden (Schmaeh et al, 2015, für weitere Ausführungen).

Bei den Erhebungswellen wurden schriftliche Erhebungsinstrumente eingesetzt zur Erfassung einer Vielzahl von psychosozialen Merkmalen und kognitiven Merkmalen aus der Jugendzeit, sowie weiterführende Messungen zu Merkmalen der Berufslaufbahn, Persönlichkeit, Lebenssituation, Gesundheit und Angaben zu Partnerinnen und Partnern sowie Kindern. Alle Instrumente und Angaben zu den Stichproben sind in den Arbeitsberichten (Nr. 1-7) zu finden.

Ergebnisse

Im Rahmen der Studie wurden verschiedene Fragestellungen untersucht, die zu verschiedenen Publikationen geführt haben. Die Ergebnisse zeigen insgesamt, wie wichtig das Individuum mit seinen kognitiven, affektiven und sozialen Eigenschaften, die Familie, das soziokulturelle Umfeld und das Arbeitsumfeld für die Vorhersage von Entwicklungsverläufen sind (Schellenberg et al., 2018). Die berufliche Laufbahn konnte dabei sehr differenziert untersucht werden und es wurden verschiedene Muster in Berufsverläufen identifiziert: Während sich bei Frauen im Durchschnitt mehr Kontinuität abzeichnet, fallen bei Männern mehr berufliche Wechsel auf (z.B. in Richtung Spezialisierung und Aufstieg) (Häfeli et al., 2021). Die erste Berufswahl und die erste Berufsausbildung sind wegweisend für die weitere Entwicklung. Trotzdem sind danach noch vielfältige Anpassungen und Veränderungen möglich. Die Durchlässigkeit im Schweizer Bildungssystem zeigt sich auch in unseren Daten; viel Personen bilden sich weiter auf Fachhochschulniveau oder in der höheren Berufsbildung (Schellenberg et al., 2016). Weiter wurden verschiedene Einflussfaktoren auf den Verlauf von Berufslaufbahnen untersucht, wie die Geschlechterrollen (Häfeli et al., 2015), oder den Einfluss der Persönlichkeit: Interessant war der Befund, dass die Jugendpersönlichkeit ein guter Prädiktor für die Vorhersage der Laufbahn sein kann (Schellenberg et al., 2017).

Es gibt eine Gruppe von Personen, welche schwierigere Entwicklungen zeigen (Spiess Huldi et al., 2006). Bedeutsame Risiko- und Schutzfaktoren wurden bei strukturellen Merkmalen (Herkunftsfamilie, absolvierte Schulbildung), persönlichen Merkmalen (Intelligenz, Selbstwirksamkeit, Instrumentalität, Verhaltensauffälligkeiten, Suchtproblematiken) gefunden, aber auch bei weiteren bisher weniger beachteten Merkmalen: Bedeutung von Unterbrüchen in der Berufslaufbahn, Investition in Aus- und Weiterbildung, «Job-Involvement» (Arbeitsumfang), Prädiktionskraft von «sozio-emotionalen-Kompetenzen», Aspekte sozialer Unterstützung (Schellenberg et al., 2015).

Schlussfolgerungen und Valorisierung

Die Daten der Zürcher-Längsschnittstudie ZLSE bilden eine wichtige Basis, um berufliche Entwicklungsverläufe zu untersuchen und dabei Einflüsse aus der Jugendzeit zu analysieren. Die Analyse von Risiko- und Schutzfaktoren zeigt verschiedene Ansatzpunkt für die Förderung von Kindern und Jugendlichen in der Schule, Berufsausbildung bis ins Arbeitsleben im mittleren Erwachsenenalter.

Die Ergebnisse sind bedeutsam auf verschiedenen Ebenen und für verschiedene Zielgruppen (siehe Valorisierungsbericht, Schellenberg et al., 2018): Die Ergebnisse stellen beispielsweise auf der Ebene Berufsbildung und Arbeitsmarkt eine Bestätigung für den eingeschlagenen Weg dar. Die Berufsbildung bildet eine gute Grundlage und Voraussetzung für berufliche Entwicklung und das System ist durchlässig genug, um Anpassungen vorzunehmen. Sie weisen aber auch auf sensible Punkte im System hin, wo noch Handlungsbedarf besteht, z.B. Unterstützung von vulnerablen Gruppen, z.B. Ausbau eines Diversity Managements in Betrieben, Karriereberatungen für Frauen, u.a. Damit könnte auch der Fachkräftemangel in verschiedenen Berufsfeldern adressiert werden. Eine breite Palette weiterer Handlungsempfehlungen liegen vor für Schule (z.B. zu den Themen Förderung von Karriereaspiration, Aufbau sozio-emotionalen-Kompetenzen), Elternhaus (Erziehungsstile, ihren Einfluss auf die Berufswahl), Berufsbildung und Wirtschaft (Schellenberg & Krauss, 2021).

Literatur

  • Häfeli, K., Hättich, A., Schellenberg, C., & Schmaeh, N. (2015). Gründe für zunehmende vertikale Geschlechtersegregation im Erwachsenenalter. Schweizerische Zeitschrift für Bildungswissenschaften, 37 (2), 342–360.
  • Häfeli, K., Hättich, A., Schellenberg, C., Krauss, A., & Ritschard, G.(2021). Stability and mobility in occupational career patterns over 36 years in Swiss women and men. Longitudinal and Life Course Studies, 12 (4), 1–26. https://doi.org/10.1332/175795921X16137663687028
  • Schallberger, U., & Spiess Huldi, C. (2001). Die Zürcher Längsschnittstudie «Von der Schulzeit bis zum mittleren Erwachsenenalter». Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation, 21(1), 80-89.
  • Schellenberg, C., & Krauss, A. (2021). Risikofaktoren bei Jugendlichen und ihre Auswirkungen auf den Berufserfolg. Ein Längsschnitt über 36 Jahre. In P. Klaver (Hrsg.), Heilpädagogische Forschung: Bildung für Alle (Forschungsbericht 2021). Zürich: Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik. https://digital.hfh.ch/forschungsbericht-2021/chapter/9-risikofaktoren-bei-jugendlichen-und-ihre-auswirkungen-auf-den-berufserfolg/
  • Schellenberg, C., Häfeli, K., Krauss, A., & Hättich, A. (2018). Kontinuität und Wandel: Zusammenspiel von Persönlichkeit und Berufstätigkeit bis zum 52. Lebensjahr.: Valorisierungsbericht zu Handen des SBFI.  Zürich: Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik und Universität Basel.
  • Schellenberg, C., Krauss, A., & Hättich, A. (2017). Längsschnittuntersuchung der Persönlichkeit-Beruf-Kongruenz über die Berufslaufbahn. Schweizerische Zeitschrift für Bildungswissenschaften, 39 (3), 553–570.
  • Schellenberg, C., Hättich, A., Schmaeh, N., & Häfeli, K. (2016). Die Matura als der Weg zum beruflichen Erfolg. Ein Vergleich mit der Berufsbildung. In J. Kramer, M. Neumann, & U. Trautwein (Hrsg.), Abituraund Matura im Wandel. Edition ZfE (1. Auflage, S. 253–285). Springer VS.
  • Schellenberg, C., Schmaeh, N., Häfeli, K., & Hättich, A. (2015). Horizontale und vertikale Mobilität in Berufsverläufen vom Jugendalter bis zum 49. Lebensjahr: Ergebnisse einer Längsschnittstudie. In K. Häfeli, M. P. Neuenschwander, & S. Schumann (Hrsg.), Berufliche Passagen im Lebenslauf (1. Auflage, S. 305–333). Springer VS.
  • Schmaeh, N., Häfeli, K., Schellenberg, C., & Hättich, A. (2015). Zurich Longitudinal Study «From School to middle Adulthood». Longitudinal and Life Course Studies, 6 (4), 435–446.
  • Spiess Huldi, C., Häfeli, K. & Rüesch, P. (2006). Risikofaktoren bei Jugendlichen und ihre Auswirkungen auf das Leben im Erwachsenenalter. Eine Sekundäranalyse der Zürcher Längsschnittstudie «Von der Schulzeit bis zum mittleren Erwachsenenalter» (ZLSE). Luzern: Edition SZH/CSPS. Herunterladen

Wichtige Dokumente

Zeitschriftenartikel (peer-reviewed)

Bücher und Buchbeiträge

  • Schellenberg, C., Hättich, A., Schmaeh, N., & Häfeli, K.
    (2016).
    Die Matura als der Weg zum beruflichen Erfolg. Ein Vergleich mit der Berufsbildung.
    In J. Kramer, M. Neumann, & U. Trautwein (Hrsg.),
    Abitura und Matura im Wandel. Edition ZfE
    (1. Auflage, S. 253–285).
    Springer VS.
  • Schellenberg, C., Studer, M., & Hofmann, C.
    (2016).
    Transition Übergang Schule-Beruf.
    In I. Hedderich, G. Biewer, J. Hollenweger, & R. Markowetz (Hrsg.),
    Handbuch Inklusion und Sonderpädagogik
    (1. Auflage, S. 485–490).
    UTB GmbH.
  • Schellenberg, C., Krauss, A., & Hättich, A.
    (2016).
    Welche Einflussfaktoren sind für die spätere Gesundheit relevant?
    In S. Hüttche, & M. T. Wicki (Hrsg.),
    Forschung für die Praxis. 15 Jahre Forschung und Entwicklung 2001-2016
    (S. 20–21).
    Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik.

Weitere Publikationen

Öffentlichkeitsarbeit

  • Schellenberg, C., & Krauss, A.
    (2018, Februar 1).
    Was Berufsverläufe beeinflusst. Längsschnittstudie zur beruflichen Entwicklung über die Lebensspanne.
    Newsletter der Schweizerischen Gesellschaft für angewandte Berufsbildungsforschung (SGAB),

Anwendungen