Schulinseln in der Schweiz

Kategorie Projekt

Ausgangslage und Ziele

Seit mehr als zehn Jahren werden in der Schweiz so genannte «Schulinseln» als schul- und unterrichtsunterstützende Massnahme umgesetzt. Der Zürcher Lehrer- und Lehrerinnenverband (ZLV, 2022) beschreibt sie als niederschwelliges Angebot, das sowohl Lehrpersonen wie auch Schüler:innen Entlastung im Umgang mit herausforderndem Verhalten bieten kann. Jedoch ist wenig über die Verbreitung, Umsetzung und Herausforderungen von Schulinseln bekannt. Im Projekt wird dazu eine Bestandsaufnahme gemacht mittels quantitativer und qualitativer Erhebungsmethoden.

Projektleitung

Verena Muheim

Funktion

Advanced Lecturer

Fakten

  • Dauer
    12.2020
    12.2022
  • Neue Projektnummer
    2_15

Ausgangslage und Ziele

Schulinseln werden als zusätzliche unterstützende Massnahmen in der Regelschule beschrieben, um insbesondere akute Problemsituationen im Unterricht auffangen zu können. Sie lassen sich unter den Begriff der «alternativen Lernräume» nach Widmer-Wolf et al. (2018) subsumieren und können auch als «besondere Förderräume» in Regelschulen gemäss Reiser et al. (2008) bezeichnet werden. International existieren Schulinseln ähnliche Konzeptionen (z.B. Nevermann, 2013). Schulinseln können verschiedene Angebote beinhalten wie beispielsweise als Auffangstation von Schüler*innen zu fungieren, die kurzfristig aus dem Unterricht verwiesen werden, zur aktiven Konfliktbearbeitung und -lösung, für das Nachschreiben von Prüfungen, Hausaufgabenbetreuung. Die Konzeptionen und Formen der entwickelten Schulinseln sind pro Schulstandort unterschiedlich. Betont wird oft, dass es sich nicht um eine separierende Massnahme, sondern um eine für Lehrpersonen und Schüler:innen entlastende Massnahme handle und der Fokus häufig auf Schüler:innen mit herausforderndem Verhalten liege (ZLV, 2022).

Die umgesetzte Erhebung basierte auf vom Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverband herangetragene Fragen zur Bedeutung von Schulinseln und ihrem Beitrag zur schulischen Inklusion. Das Ziel des Forschungsprojektes lautete, eine erste Bestandesaufnahme der bestehenden Schulinselumsetzungen in den Schulen der deutschsprachigen Schweiz vorzunehmen. Die Befragung sollte insbesondere wichtige Erkenntnisse zur Verbreitung und Umsetzungsvarianten von Schulinseln in der Schweiz ermöglichen. In Ergänzung zu diesen quantitativen Daten wurden mittels leitfadengestützter Interviews die Sichtweisen und Wahrnehmung von Schulinselleitungen erhoben, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede der verschiedenen Schulinselumsetzungen eruieren zu können.

Methode

Das Vorgehen entspricht einem explanativen Mixed-Method-Design (Schreier und Odağ, 2010) und kombiniert einen quantitativen und einen qualitativen Erhebungsteil. Der erste Teil der Erhebung ist als Online-Befragung an Schulleitungen konzipiert worden. Befragt wurden alle Schulleitungen der 13 Trägerkantone der HfH. In einem zweiten Teil wurden insgesamt neun Interviews mit den an den Schulinseln beteiligten Fachpersonen in ausgewählten Schulen und in verschiedenen Kantonen durchgeführt.

Ergebnisse

Die Ergebnisse des quantitativen Teils zeigen, dass «Schulinseln» nicht flächendeckend in der Schweiz eingesetzt werden, sondern in manchen Gebieten etwas häufiger vorzukommen scheinen als in anderen. Überdies existieren unterschiedliche Umsetzungsformen von «Schulinseln», dies auch in Abhängigkeit der Bestehensdauer der Massnahmen. Schulleitungen berichten, dass der Einsatz von Schulinseln zu einer Entlastung von Lehrpersonen sowie Schüler:innen führen kann und daher als hilfreiche Massnahme erlebt wird. Die Funktion der Entlastung wird entsprechend als ein wichtiges Ziel der Massnahme deklariert (Muheim, Krauss, Link, Röösli, & Hövel, 2022).

Die Ergebnisse des qualitativen Teils zeigen in Ergänzung zu den quantitativen Daten in verschiedener Hinsicht Ambivalenzen auf. So steht in den Interviews mehrheitlich die Entlastung von Lehrpersonen im Vordergrund, die Entlastung von Schüler:innen mit herausforderndem Verhalten wird kaum thematisiert. So ist nicht auszuschliessen, dass diese durch Schulinseln nicht doch auch erneute, zusätzliche Belastung erfahren könnten. Steht Entlastung für Lehrpersonen als Ziel im Fokus, so erhalten Schulinseln verstärkt einen Stützcharakter für Unterricht, indem diese jene Schüler:innen, die kurzzeitig aus dem Unterricht gewiesen und an die Schulinsel delegiert werden, auffangen. Steht jedoch Schul-, Team-, oder Unterrichtsentwicklung im Vordergrund, kann sich Entlastung einstellen, allerdings geht es in einem solchen Kontext um die Bedürfnisse aller Beteiligten, sowie um die Gestaltung des Sozialraums Schule. Ist ein solcher Rahmen gegeben, können Schulinseln viel eher zu erweiterten Lernräumen oder «erweiterten Klassenzimmern» werden, in denen sozial-emotionale Fähigkeiten der Schüler:innen geübt und entwickelt werden können und in denen auch Lehrpersonen sich immer wieder der Frage stellen müssen, wie sie und im Team mit sozial-emotionalen Herausforderungen im Alltag umgehen wollen und können (Muheim, Link, Krauss, & Röösli, 2023).

Limitierend ist festzuhalten, dass die erhobenen Daten jeweils die Sichtweise und Erfahrungen einer bestimmten Personengruppe wiedergeben und insofern in ihrer Aussagekraft begrenzt sind. So konnten weder Lehrpersonen noch Schüler:nnen selbst direkt befragt oder beobachtet werden. Zudem fehlen Daten zur sozialen Praxis in und um diese schulinternen Massnahmen. Auch Aussagen hinsichtlich Wirkungsweise können mit den vorliegenden Daten nicht getroffen werden.

Fazit für die Praxis

Als für die Praxis relevant erweist sich die Erkenntnis, dass «Schulinseln» als Entlastung für Lehrpersonen im hochbelasteten Schulalltag wahrgenommen werden können. Gleichzeitig ist nicht sicher, wie Kinder und Jugendliche, die der Massnahme zugewiesen werden, diese erleben und ob sie dadurch für sich ebenfalls Entlastung wahrnehmen oder ob nicht gerade dadurch andere Probleme kreiert werden, die dann anderweitig wieder aufgefangen werden müssen. Schulinseln können zu erweiterten Lernräumen oder «erweiterten Klassenzimmern» werden, wenn nicht die Entlastungsfunktion als Hauptziel im Vordergrund steht, sondern wenn es darum gehen soll, die Entwicklung der sozial-emotionalen Fähigkeiten aller Schüler:innen als Teil des Sozialraum Schule mitaufzunehmen.

Literatur

  • Muheim, V., Krauss, A., Link, P.-C., Röösli, P., & Hövel, D. C. (2022). «Schulinseln» in der Schweiz – Ergebnisse der ersten Forschungsetappe einer explorativ angelegten empirisch-quantitativen Untersuchung zu Verbreitung, Funktion und Implementation im Bildungswesen. Sonderpädagogische Förderung heute, 67(4):414–30.
  • Muheim, V., Link, P.-C., Krauss, A., & Röösli, P. (eingereichtes Manuskript). «Es ist keine Ferieninsel […] aber auch kein Alcatraz» – Inhaltsanalytische Rekonstruktionen zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden von Schulinseln in der Schweiz.
  • Nevermann, C. (2013). Schulstationen – Emotionale Stützung und soziale Integration im Lernfeld Schule. In U. Preuss-Lausitz. (Hrsg.), Schwierige Kinder - schwierige Schule? Inklusive Förderung verhaltensauffälliger Schülerinnen und Schüler (S. 127–41). Beltz.
  • Reiser, H., Willmann, M., & Urban, M. (2008). Organisationsformen. Integrierte schulische Erziehungshilfe. In B. Gasteiger-Klicpera, H. Julius, & C. Klicpera (Hrsg.), Sonderpädagogik der sozialen und emotionalen Entwicklung (S. 651–68). Hogrefe.
  • Schreier, M., & Odağ, Ö. (2010). Mixed Methods. In G. Mey und K. Mruck (Hrsg.), Handbuch Qualitative Forschung in der Psychologie (S. 263–77). VS Verlag für Sozialwissenschaften.
  • Widmer-Wolf, P., Eschelmüller, M., & Kunz-Egloff, B. (2018). Alternative Lernorte in der schule. Leitfaden zum Umgang mit Spannungsfeldern [Leitfaden]. FHNW, https://www.schul-in.ch/myUploadData/files/leitfaden-a4-alternativer-le…
  • ZLV (2022). Schulinseln. Integration von Kindern mit Verhaltensauffälligkeiten [Positionspapier]. ZLV, https://www.zlv.ch/fileadmin/user_upload_zlv/Positionspapiere/Positions…

Publikationen