Eine Profession in Bewegung: 50 Jahre Psychomotoriktherapie

Jahresbericht 2022

Die Psychomotoriktherapieausbildung in der Deutschschweiz feierte 2022 ihren 50. Geburtstag. Ein Beitrag der Rektorin zum Jubiläum für den Jahresbericht der Hochschule. 

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Barbara Fäh Titel Prof. Dr.

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Rektorin

2022 war das Jahr des 50-Jahr-Jubiläums der Ausbildung in Psychomotoriktherapie (PMT). Das Heilpädagogische Seminar Zürich (HPS) und seine Nachfolgeinstitution, die Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik (HfH), haben seit 1972 über 600 Psychomotoriktherapeut:innen ausgebildet. Fachpersonen, die allein im Jahr 2022 in der Stadt Zürich über 1200 Kinder in ihrer sozio-emotionalen und motorischen Entwicklung unterstützen. Die Arbeit der Psychomotoriktherapie fokussiert sowohl Prävention wie auch Therapie. Als Teil der Schulteams übernehmen Psychomotoriktherapeut:innen wichtige Aufgaben in der Prävention mit allen Kindern in Zusammenarbeit mit den Lehrpersonen oder in der Therapie in Einzel- und Gruppensettings.
50 Jahre sind eine lange und eine kurze Zeit. Lange, weil es viel zu berichten gibt über die Entwicklungslinien, die Schwerpunkte, die Ausbildung. Eine kurze Zeit, weil auch nach 50 Jahren Weiterentwicklungen anstehen. 

Meilensteine von 1972 bis 2022. Die Entwicklung des Studiengangs PMT in der Deutschschweiz kann in zwei Phasen unterteilt werden. In der ersten Phase hat Suzanne Naville den Studiengang begründet und aufgebaut (1972 bis 1996). Es war eine Pionierleistung der heute 90-jährigen Naville, die in einer eigenen Reportage aufgearbeitet wurde. In der zweiten Phase ab 1996 wurde die PMT-Ausbildung von verschiedenen Personen geleitet. Geprägt war diese Zeit vom Übergang des HPS in die HfH im Jahr 2001. Prof. Susanne Amft leitete den Studiengang ab 1996. Sie schärfte das Verhältnis der PMT zur Bezugsdisziplin der Psychologie. Sozio-emotionale Auffälligkeiten von Kindern rückten noch stärker in den Fokus, wobei das Spektrum von ADHS und Aggressionen bis hin zu Schüchternheit und Angststörungen reicht. Um den besonderen Bedürfnissen dieser Kinder gerecht zu werden, musste das therapeutische Angebot systematisch erweitert werden. So wurde in der Praxis das Arbeitsmittel des Spiels forciert. Beispiele dafür waren erlebnisorientierte Methoden wie das Rollenspiel, das freie und selbstbestimmte Spiel, das Erzählen, Erfinden und Spielen von therapeutischen Geschichten. Somit wurde der schon immer wichtige spielerische Zugang der Psychomotoriktherapie in verschiedenen Modulen und mit unterschiedlichen Dozierenden vertieft.

«Die Psychomotoriktherapie wird sich in den kommenden Jahren als Angebot in und ausserhalb der Schulen weiter etablieren.»

Mit der bildungspolitischen Leitidee «Integration vor Separation» zu Beginn der 2000er-Jahre rückten die Prävention und das psychomotorische Arbeiten mit grossen Gruppen ins Zentrum. Immer wieder wurde die Frage nach der Wirksamkeit gestellt: In der Studie «Integrativ und präventiv ausgerichtete grafomotorische Förderkonzeption (G-FIPPS)» konnte Prof. Dr. Martin Vetter, der damalige Leiter des Studiengangs, zeigen, dass Projekte innerhalb der Schule und mit allen Kindern sinnvoll und umsetzbar sind.
 
Professionalisierung mit konsekutivem Master. Erkenntnisse rund um die kindliche Entwicklung fanden auch Eingang in die Lehre. Die systematische Weiterentwicklung des Curriculums war ein Schwerpunkt von Dr. Beatrice Uehli, die den Studiengang von 2008 bis 2017 leitete. Einen Fokus legte sie auf die Bedeutung der sozial-emotionalen Entwicklung des Kindes für die PMT. Mit ihr wurde der systematische bio-psycho-soziale Zugang zum wichtigen Erklärungsmodell für kindliche Entwicklungsstörungen. Es fand nicht nur Eingang in die Ausbildung, auch Publikationen folgten, wie der von Prof. Susanne Amft und Dr. phil. Susan C.A. Burkhardt 2021 herausgegebene Band «Schüchterne und sozial ängstliche Kinder in der Schule».

«Die Jubiläumsveranstaltungen #50JahrePMT standen unter dem Fokus: Blick zurück und nach vorn.»

Die Geschichte der PMT-Ausbildung in Zürich ist eine Geschichte der Professionalisierung. Ab 2023 wird zusätzlich zum berufsbefähigenden Bachelor ein konsekutiver Master angeboten. Er soll die Verzahnung von Praxis, Theorie und Forschung weiter vorantreiben. Das Jubiläumsjahr wurde begleitet von verschiedenen Veranstaltungen. Sie standen unter dem Fokus Blick zurück und nach vorn mit den Fragen: Wie haben sich PMT und die Ausbildung entwickelt? Welche Kompetenzen braucht es heute und morgen? 

  • Im Online-Talk «50 Jahre PMT – ein Fachgebiet in Bewegung» würdigten die Teilnehmenden die vergangenen Jahre und wagten einen Blick in die Zukunft.  
  • Die Tagung «Sozial-emotionale Kompetenzen stärken durch Psychomotoriktherapie» fokussierte die Frage, welche Rolle die PMT in der Prävention und Therapie von sozio-emotionalen Störungen einnimmt und einnehmen soll. Obwohl die Datenlage zur Wirksamkeit dünn ist, ist sich die Praxis einig: Ja, PMT wirkt, aber es braucht mehr Forschung in diesem Gebiet. Die wissenschaftsjournalistische Berichterstattung erlaubt einen fundierten Blick in die Ergebnisse der Tagung. 
  • Im Oktober fand ein besonderes Ereignis statt: Rund 60 ehemalige und aktuelle Studierende, Dozierende und Lehrbeauftragte sowie weitere geladene Gäste feierten an der Hochschule das Jubiläum und freuten sich über Begegnungen und Geschichten. 
  • Der Online-Talk «Wie wirksam ist die PMT?» rundete das Jubiläumsjahr ab. In diesem Talk wurde der Fokus auf die Wirksamkeit und die Qualität der PMT gelegt. Während die Praxis die Wirksamkeit bejaht, sieht die Wissenschaft dies eher kritisch. Studien mit grossen Fallzahlen sind nicht möglich. Kontrollierte Einzelfallstudien stellen einen Ansatz dar, welcher zurzeit an der HfH weiterverfolgt wird. 

Eine Übersicht zu allen Beiträgen auf der HfH-Website finden Sie in diesen News. Die Psychomotoriktherapie wird sich in den kommenden Jahren als Angebot in und ausserhalb der Schulen weiter etablieren und Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung unterstützen. 

Autorin: Barbara Fäh, Prof. Dr., Rektorin HfH